Mord auf der Tanzfläche

Im Rahmen der Olympischen Sommerspiele 1948 in London kam es im Kontext des Tanzwettberwerbs zu einer Reihe sehr merkwürdiger Unfälle, doch als nach einigem Schulterzucken und aufgrund der Ratlosigkeit der Regelgelehrten die Gold-, Silber- und Bronzemedaille mangels weiterer Teilnehmer an das Siegerpaar Kent Clarkson und Bexterane de la Motte übergeben wurde, kam es zu einem tragischen Todesfall: Als Bexterane die Silbermedaille küsste, nachdem sie schon die Bronzemedaille geküsst hatte und die Goldmedaille küssen wollte, schrie sie vor Schmerz auf, erlitt durch das Anschwellen der Lippen eine Atemnot und starb noch auf der Siegertribüne. Obwohl olympische Ärzte eine Silberallergie diagnostizierten, behauptet Clarkson bis heute, dass seine Partnerin von einer Konkurrentin vergiftet worden sei.
In Nordamerika gibt es viele, sowohl in Großbritannien, den Konföderierten und Vereinigten Staaten von Amerika als auch in Mexiko, dass dieses Gerücht war sei. Bestärkt wird das dadurch, dass Clarkson im Gefolge das Tanzen aufgegeben hat und als Präsidentschaftskandidat für die KSA auf Stimmenfang geht. Clarkson benützt die Legende von der Ermordung seiner Partnerin zur Begründung seiner antiargentinischen, antibritischen, antichinesischen, antifranzösischen und antijapanischen Tiraden.

Zusammenfassung

Bei den olympischenSommerspielen 1948 in London gab es auch einen Tanzwettbewerb, bei dem acht Paare antraten (Argentinien, Äthiopien, China, Frankreich, Japan, Konföderierte Staaten von Amerika, Sowjetunion, Vereinigtes Königreich). Dabei wurde ganz im olympisch-kolonialistischen Stil die Reihenfolge der sieben Tanzbewerbe gelost: Langsamer Walzer, Tango, Rumba, Sirtaki, Paso Doble, Samba und Pavane.
Als beim Langsamen Walzer sich unglücklicherweise eine Schraube aus dem Parkett löste und den Schuh der japanischen Tänzerin durchbohrte, jaulte sie vor Schmerz auf und schied mit ihrem Partner aus. Japan forderte die Hinrichtung der Tischler, was Großbritannien verweigerte, den Boden nochmals überprüfen ließ und dann weitertanzen ließ.
Beim Tango riss eine Seite einer zufällig neben der Tanzfläche stehenden Harfe (die eigentlich erst bei der Pavane hätte spielen sollen) und zerschnitt dem sowjetischen Tänzer das Gesicht, weshalb auch dieses Paar ausschied. Die sowjetische Delegation, die zuvor noch über die wehleidige Japanerin gespottet hatte, musste nun selbst ihre Teilnahme absagen.
Bei der Rumba fiel ein dekoratives Rumfass so unglücklich um, als die Paare die Tanzfläche betraten, dass das äthiopische Paar davon überrollt wurde und sich die Beine so schwer verletzte, dass es nicht mehr antreten konnte.
Der Sirtaki, geeinschaftlich getanzt, verlief ohne Schwierigkeiten, doch beim Paso doble löste sich eines der Dressurpferde von der benachbarten Koppel und galoppiete durch die Musik scheu gemacht über die Tanzfläche, dabei das britische Paar umstoßend. Die britische Regierung wollte daraufhin den Bewerb für gescheitert erklären, doch sowohl die bereits ausgeschiedenen als auch die noch verbliebene Paare protestierten.
Bei der Samba hatte sich in der Schachtel, in der die französische Tänzerin ihre Federboa aufbewahrte, auch eine Boa constrictor eingenistet, die die Entsetzte in die Hand biss, als diese das Tanzutensil herausnahm.
by Racussa mit DALLE
Das chinesische und das konföderierte Paar kamen überein, doch noch die Pavane zu tanzen, doch irgendjemand muss unabsichtlich das Puder für die Perücken des chinesischen Paares statt mit Leinen mit Brennesseln ausgeschmückt haben, weshalb das chinesische Paar schreiend vor Schmerzen aus dem Saal lief.
Das Konföderierte Paar gewann den Bewerb mangels Konkurrenz eindeutig. Allerdings sprach das Schiedskomitee ihm auch die Silber- und die Bronzemedaille zu, weil ja alle anderen Paare ausgefallen waren.
Danach kam es nach der grauenvollen Serie von Unfällen auch noch zu dem Todesfall auf der Tanzfläche.

Historische Grundlage

Schon gleich danach wurden alle ausgeschiedenen Paare des Mordes an Bexterane bezichtigt, sei es aus Rache, sei es aus Trotz, doch die Paare verwehrten sich mit Verweis auf ihr mysteriöses Ausscheiden und stellten sogar die Gegenfrage, ob nicht das konförderierte Paar die anderen Unglücksfälle inszeniert habe, um selbst den Sieg davonzutragen.

Verbreitung

Alle Boulevardblätter von Addis Abeba bis Wiesbaden waren in der Folgewoche voll von Berichten, manche sogar mit Photographien der toten Tänzerin auf der Titelseite und unterschiedlichen Darstellungen des Geschehens. Das Olymische Komitee selbst verweigerte einen Kommentar, schmolz die inkriminierten Medaillen ein (was Clarkson als Vertuschungsversuch brandmarkte und als Raub an seinem Sieg beweinte).
Eine kurze Notiz wurde an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gesandt, um ihn zu beruhigen.

Varianten & Abwandlungen

Das Ereignis wurde in den verschiedenen Staaten von den nationalen Olympischen Komitees sehr unterschiedlich kommentiert:

Vereinigtes Königreich

"Mit großem Bedauern nimmt Ihre Majestät, die Königin, die selbst eine fröhliche Tänzerin ist, Kenntnis von den tragischen Ereignissen beim Tanzwettbewerb der Olympischen Sommerspiele in unserer Welthauptstadt London. Eine umfassende Untersuchung der Vorfälle ist eingeleitet worden, um die Ursachen der Unfälle und des Todes der konföderierten Tänzerin Bexterane de la Motte zu klären. Wir danken den teilnehmenden Nationen für ihre Geduld und Zusammenarbeit in dieser schwierigen Zeit und verbieten zugleich alle antibritische Propaganda, vor alle aus den ehemaligen Kolonien!"

Konföderierte Staaten von Amerika

"Die Regierung der Konföderierten Staaten von Amerika spricht seinen trauernden Angehörigen ihr tiefstes Mitgefühl aus. Kent Clarkson, unser goldgekrönter Tänzer und talenetierter Chemiker, trauert um seine Partnerin und erhebt schwere Vorwürfe gegen mögliche Sabotage. Wir fordern eine gründliche internationale Untersuchung, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und zukünftige Vorfälle dieser Art zu verhindern. Doch schließen wir uns vorsichtig seinen Beobachtungen an, dass Großbritannien einen erneuten Sieg der Konföderierten Staaten über das untergehende Empire mit allen Mitteln verhindern wollte."

Japan

"Die japanische Regierung ist zutiefst besorgt über die Unfälle, die während des Tanzwettbewerbs in London aufgetreten sind. Der Schmerz unserer Tänzerin ist unerträglich, und wir verlangen eine vollständige Aufklärung der Ursachen. Wir werden keine weiteren Teilnahmen in Betracht ziehen, bis strikte Sicherheitsvorkehrungen eingeführt werden. Die Forderung nach Todesstrafe für die Verantwortlichen bleibt bestehen. Zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Folge der Unterordnung unter kolonialwestliche Tanztraditionen an sich eine Demütigung ist, die Schmerz in jeder japanischen Seele erzeugt."

Sowjetunion

"Die sowjetische Delegation bedauert die Verletzungen, die unser Tanzarbeiter erlitten hat, und drückt ihre Anteilnahme für den asozialen Tod der Tänzerin Bexterane de la Motte aus. Wir unterstützen eine internationale Untersuchung der Vorfälle und werden die arbeitsmedizinischen Sicherheitsstandards bei zukünftigen Wettbewerben kritisch überprüfen. Die Gesundheit aller Tanzarbeiterinnen muss oberste Priorität haben. Es war aber vorauszusehen, dass die unterbezahlten und ausgebeuteten Arbeiter in London die gestellten Aufgaben nicht rechtzeitig erfüllen oder alle sozialmedizinischen Errungenschaften einhalten konnten."

Äthiopien

"Äthiopien ist erschüttert über die tragischen Unfälle und den Verlust von Menschenleben während des Tanzwettbewerbs bei den Olympischen Spielen. In Lalibela habe wir für die Tote eine Kerze angezündet. Wir fordern eine vollständige Untersuchung und Maßnahmen, um sicherzustellen, dass solche Vorkommnisse nicht erneut auftreten. Unsere Gebete gelten den Familien der Verletzten und Verstorbenen. Bis auf Weiteres ist Rum in Äthiopien verboten. Alle bestehenden Vorräte sind sofort in den Kanal zu entleeren."

China

"China verurteilt die Vorkommnisse beim Tanzwettbewerb in London und erinnert daran, dass die Spiele besser in Nanjing abgehalten worden wären. Unsere Tänzer wurden durch nachlässige Sicherheitsvorkehrungen schwer verletzt, und wir bestehen auf Entschädigung und Sicherheitsgarantien für zukünftige Wettbewerbe. Möglicherweise haben auch die Kommunisten einen Anschlag auf unser loyalen Tänzer ausgeführt, gemeinsam mit der KPGB?"

Frankreich

"Frankreich drückt seichtes Mitgefühl für die Opfer der Unfälle beim Tanzwettbewerb in London aus. Die Verletzung unserer Tänzerin durch eine Boa constrictor ist inakzeptabel, und wir fordern umfassende Entschädigungen. Wir unterstützen die internationale Zusammenarbeit zur Aufklärung der Vorfälle. Aber wir möchten diese Boa für den Paris Zoo haben, um sie dort mit Alligatoren, Mungos und Sandspinnen zu bestrafen zur Genugtuung vor den Augen unserer Verwundeten. Die Haut der Schlange werden wir sodann im Louvre ausstellen zur Belehrung über Artenschutz und Tierhaltung."

Argentinien

"Argentinien ist bestürzt über die unglücklichen Ereignisse beim Tanzwettbewerb der Olympischen Spiele. Wir stehen in Solidarität mit unseren Betroffenen und unterstützen eine gründliche Untersuchung. Es ist unerlässlich, dass solche Vorfälle in Zukunft verhindert werden und die Sicherheit der Teilnehmer gewährleistet ist. Man sollte lateinamerikanische Tänze in Lateinamerika tanzen, zum Beispiel auf den Malvinas!"
Datum der ersten Erwähnung
1949
Datum der Ereignisse
3. August 1948
Zugehörige Orte
Spezieller Dank für die Inspiration an Sophie Ellis Bextor for Murder on the dancefloor

Cover image: Olympischer Tanzsaal London 1948 by Racussa mit DALLE

Kommentare

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Aug 23, 2024 22:56 by Secere Laetes

Genial. Die absurden Unfälle (Brennnesseln... Rumfässer... ) ebenso wie die Reaktionen (Tischler hinrichten, Rum verbieten und dafür in den Fluss kippen) inklusive dem Präsidenschaftskandidaten, der also ein guter Chemiker ist. Ganz und gar unverdächtig in diesem Zusammenhang. Wie sind eigentlich die Argentinier ausgeschieden, wenn die Konföderierten alle Medaillen gehabt hätten?

Aug 24, 2024 06:07 by Racussa

GANZ unverdächtig, gut erkannt. Und du hast völlig recht, die Argentinier sind mir irgendwie durchgerutscht (hoffentlich leben sie noch), sie hätten beim Paso doble ihren Ausfall haben müssen ;-)

The world is not enough.
Aug 24, 2024 06:37 by Secere Laetes

Die leben sicher noch, da ist dann eher die Frage, wie skurril es bei ihnen wurde ^^.