Hölzernes Ende
Wirt erwachte, er hatte schreckliche Kopfschmerzen. Dieser unglaubliche Gestank trug nicht gerade dazu bei seinen Kopf zu klären. Blinzelnd versuchte er die Umgebung zu untersuchen. Er lag mit gammligen Lumpen bedeckt auf hölzernen Planken und spürte jeden einzelnen Knochen im Leib. Warum er sich so elend fühlte konnte sich Wirt nicht erklären. Zuletzt befand er sich noch an seinem Lieblingsplatz zwischen den Palmen im Schatten und träumte von den Geschichten, mit denen seine Mutter ihn früher so oft verzaubert hatte. Ganz unvermittelt zog ein Wind auf, der sich schon nach wenigen Sekunden zu einem ausgewachsenen Sandsturm entwickelte. Wirt wusste noch, dass er sich den Schal vor das Gesicht gezogen hatte und versuchte die aufgebrachten Tiere zu besänftigen. In dem diffusen Licht des wirbelnden Sandes war es schwer die Orientierung zu bewahren. Außer dem Heulen des Windes waren da noch andere Geräusche, merkwürdige, unnatürliche Geräusche und dann wurde es schlagartig dunkel. »Bei der Mutter«, entfuhr es Wirt. Die Kamele, der einzige Reichtum den seine Familie besaß. Er hatte die Kamele verloren. Sein Vater würde außer sich sein vor Wut. Wirt musste sie unbedingt wiederfinden.
Ein Ruck ging durch seinen Körper und riss Wirt unsanft in die Wirklichkeit zurück. Der Untergrund bewegte sich schwankend auf und ab und ließ Wirts Magen rebellieren. Er versuchte sich zu beruhigen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Der ekelerregende Gestank aus ungewaschenen Leibern, süßlicher Verwesung und Exkrementen fuhr Wirt tief in Mund und Nase, beschleunigte das Unvermeidbare und Wirt erbrach den spärlichen Inhalt seines Magens geräuschvoll auf den speckigen Holzfußboden.
Er wischte sich an seinem zerschlissenen Leinenhemd so gut es eben ging den Dreck vom Gesicht, nachdem die letzten Reste aus Galle und Speichel seinen Mund verlassen hatten. Anschließend rollte er sich erschöpft auf die Seite und nahm zum ersten Mal das ganze Ausmaß seiner Umgebung wahr.
Wirt musste sich im Frachtraum eines Schiffes befinden. Aber dies war kein gewöhnlicher Frachtraum. Anstelle von Kisten, Säcken und Fässern beherbergte dieser Raum Menschen. Entweder bewusstlos oder Tod lagen in mehreren Käfigen die unterschiedlichsten Menschen in ihrem eigenen Dreck.
»Hier Kleiner, trink dasss!« hörte Wirt eine raue, zischende Stimme. Er drehte sich um und erschrak fürchterlich als ihn das schuppige Gesicht eines der berüchtigten Laszert'lut, eines Echsenmenschen anstarrte. Die unteren Lider der gelben, stechenden Augen schlossen sich kurz als die Echse erneut die Schnauze öffnete und sagte: »Glaub mir, es hilft. Du siehst so aus, als könntest du dringend einen Schluck Wasser gebrauchen.«
Dabei hielt ihm der Laszert'lut auffordernd einen ledernden Trinkschlauch vor die Nase. Unweigerlich fielen Wirt die ganzen Schauergeschichten über diese Echsenwesen ein, welche man kleinen Kindern erzählte, um sie in den Gehorsam zu zwingen. Der Laszert'lut bemerkte Wirts zögern, zuckte kurz mit den schuppigen Schultern und ließ den Trinkschlauch zwischen den Beiden auf dem Boden ab »Fallss du dir ess anderss überlegsst«. Mit diesen Worten zog er sich in die andere Ecke des Käfigs zurück und überließ Wirt wieder sich selbst. Die Echse hatte Recht, Wirt fühlte sich ausgedörrt, seine Kehle brannte und sein ganzer Körper schrie geradezu nach etwas Flüssigem, aber die Geschichten über die Echsenwesen mit ihren Messerscharfen Zähnen, die einem mühelos das Fleisch von den Knochen ziehen konnten, schreckte ihn ab. Man erzählte sich, dass sie Feuer speien, wie richtige Drachen und das ihr Schwanz, besetzt mit spitzen Stacheln, zur Züchtigung auf ihren Sklavenschiffen nur zu gerne eingesetzt wurde, und so manch armen Teufel den Tod gebracht hat. »Heilige Mutter Tsa«, entfuhr es Wirt. »Ich flehe dich an, gütige Mutter. Lass mich nicht auf einem ihrer Sklavenschiffe sein.«
»Gar nicht sschlecht, Junge«, kicherte die Echse. »Du hasst einen wachen Versstand. Die anderen deiner Art haben deutlich länger gebraucht um die Verknüpfung herzusstellen.« behauptete der Laszert'lut und wies mit einer Klaue in den gegenüberliegenden Käfig. Während Wirt seinen Blick in die vorgegeben Richtung lenkte, fuhr die Echse fort: »Du befindesst dich auf der giftigen Kralle, dem Ssklavensschiff, welchess mit ihrem Käptn Asztar Shrzz mehr Mensschen in die Knechtsschaft gezwungen hat alss irgendwer ssonst.« Der Echsenmensch lehnte sich zurück und ließ resignierend den Kopf an die Planken des Schiffs sinken. »Und nun gessellen auch wir unss zu den erbärmlichen Kreaturen, die den Resst ihress kurzen Lebenss ohne freien Willen verbringen werden. Wenn du Glück hasst, dann darfsst du in Dratlut als Haussdiener arbeiten. Aber wenn du Pech hasst, dann wirsst du an die Ssidii übergeben.«
Wirt hörte und Verstand die einzelnen Worte, aber sein Geist verweigerte ihm die Bedeutung dieser Aussage. Er konnte nicht glauben, dass sein Leben einfach so verwirkt wäre. Ganz von selbst bewegte sich seine Hand auf den Trinkschlauch zu, entkorkte das Gefäß und setzte es an seine Lippen. Erst als das abgestandene Wasser kühlend seine Kehle beruhigte, merkte Wirt, dass er jegliche Vorsicht in den Wind geschlagen hatte und gierig trank.
Allmählich schienen sich auch die anderen, in dreckige Leinen gehüllten Mitgefangenen, zu regen. Direkt im Nachbarkäfig rappelte sich ein großer und kräftig aussehender Mann auf die Knie, welcher nicht aus Aranien zu stammen schien. Neben den braunen Augen und dem schwarzen Haar, wies er ganz eindeutig die Kopfform eines Fremden auf. Mühselig stemmte sich der Mann auf die Knie und blickte sich um. Wirt bemerkte die zahlreichen Narben, die sich über Arme und Beine des Fremden erstreckten. Eine besonders fleischige Narbe verlief quer über seinen Hals und sah aus als wäre sie durch enorme Hitze zugefügt worden. Solche Narben erhielt man nicht bei der Arbeit auf dem Feld oder in einer Werkstube. Der Fremde sah gefährlich aus, vielleicht wurde er deshalb in einer Einzelzelle gehalten. Ihm gegenüber erwachten gerade zwei Aranier und blickten sich fragend um. Der eine hätte einen ähnlich schmächtigen Körperbau wie Wirt, dünn und knochig. War jedoch schon ein paar Jahre älter und wirkte daher nicht mehr ganz so schlagsig. Der andere und Größere der beiden wirkte schon fast athletisch. Unter der bronze farbenen Haut konnte Wirt sehnige Muskeln erkennen, sobald sich der Mann bewegte. Anscheinend konnte sich keiner der Gefangenen an die Umstände ihrer Gefangenschaft erinnern.
Wirt liebte es, still und heimlich Menschen und Situationen zu beobachten. Man konnte eine Menge über Jemand lernen, wenn man dessen Gebären beobachte. Während andere nur Körper und Bewegungen sahen, erfasste Wirt oft die kleinsten Details, Nuancen in Haltung oder Bewegungsabläufen. Er hatte schon so manche Reaktion im Vorfeld erahnen und richtig deuten können. Wirts Vater behauptete, dass ihn seine gute Beobachtungs- und Auffassungsgabe irgendwann in Schwierigkeiten bringen würden, aber Wirt hatte andere Erfahrungen gemacht. Solange man sich nicht in den Mittelpunkt drängte und so die Aufmerksamkeit auf sich zog, konnte man wie ein Wüstengecko aus seinem Sandloch spähen, ohne das jemand Notiz von einem nahm. Die Verhalten brachte Wirt auch irgendwann seinen Spitznamen ein, Gecko
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