Eintrag 22: Wahnsinn mit System

General Summary

Khamset, der 15te Tag im Segment des Händlers im Zyklus 61CZ

  Aus dem persönlichen Audiolog von Layla Al-Biruni   Im Dabaran-System angekommen, fiepte Neptik aufgeregt etwas von einem Energieleck. Wie es seine Art ist, versuchte er das Problem mit gezielten Schlägen seines Schraubenschlüssels und dem Abbrennen von Räucherwerk zu lösen. Vorsichtshalber plante ich auch eine professionelle Wartung der Reizon ein, die allerdings an der Portalstation sehr teuer wäre; unser Vorrat an Birr ist zur Zeit knapp, wir können nur knapp die nächste Rate für das Schiff bezahlen, wenn wir auf Dabaran noch einige kleine Einkäufe tätigen wollen.   Kaum an der Wolkenstadt angedockt, begrüßte uns wieder Lysander, der etwas schmierige Chef des Frachtbereichs, im beigen Gewand. Er ließ eine neue, sargförmige Kiste mit den “40.000” Tabulas (laut Frachtbrief) anliefern, die wir nach Kua bringen sollten. Diesmal würde ich klein beigeben, war nun doch klar, dass das Syndikat hinter diesen Transporten von Humanitern steckt. Und wir hatten sie schon oft genug verärgert, so daß auf Rufmord wie damals bei der Ghazali nun auch bald physische Gewalt drohen könnte. Und so ließ ich auch eine neue Besichtigungstour der Reizon inklusive Selfie-Hologrammen über mich ergehen. Er scheint wirklich ein Fan zu sein. Als Dank übergab er mir immerhin eine Flasche edlen dabaranischen Weines.   Ich gab meiner Crew einen Tag frei, so dass jeder etwas auf Dabaran unternehmen konnte. Wir erwarben einen Proxy-Helm für Lynx zusammen mit drei Programmen, um ihm im Schnelldurchgang einige wertvolle Kenntnisse als Data Dschinn, Arzt und Pilot beibringen zu können. Zusammen mit der Überweisung der Zarathustra-Rate für den nächsten Monat brachte dies unsere Birr fast auf Null. Ich bekam auch die Nachricht, dass die Zara nun endlich fertig repariert sei und wir sie in der Yastapol-Raumwerft abholen könnten. Mein Herz schlug höher, auch wenn ich die Reizon inzwischen auch schätzen gelernt habe.   Den freien Tag verbrachte ich bei meiner Familie in den Zwillingsoasen, wobei allerdings nur Mama anwesend war, Vater war beim Darr des Speichers zu einer der langen Tee-Sitzungen im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen. Mama und ich hatten schöne Gespräche. Ich lieh mir auch 3.000 Birr für einen neuen, schön verzierten Dabaranischen Mercurium-Speer (mit abschaltbaren Energieklingen, wie cool!) und drehte ein paar Katas in unseren Säulenhallen. Ich wusste gar nicht, wie sehr ich meine Kampfkunst der Windhand vermisst hatte. Aber fast alles lief flink wie früher. Und derart inspiriert besuchte ich auch ganz kurz nochmal meinen alten Freund aus jener Zeit, der nun mein zukünftiger Ehemann werden soll. Auch das verlief angenehm, wenn auch etwas formell. Was waren wir früher locker, als wir noch Kinder waren.   Moth hatte den sogenannten Kreis der Suchenden gesucht (haha) und gefunden. Was da genau passiert ist, weiss ich nicht. Auf jeden Fall kam auch er stolz mit einem neuen Artefakt zurück: einer wunderschön klingenden Buzuk.   Am nächsten Tag brachen wir dann zunächst zur Atuta-Werftstation tief im Dabaranischen System auf, die ich das letzte Mal in meiner Zeit in der Navy besucht hatte. Sie ist so unfassbar groß, und überall edle Raumschiffe, wahre Kunstwerke dabaranischer Ingenieure. Wer braucht die “Talapors” und “Iwanows”, wenn man hier so tolle (aber teure) Schiffe im eigenen System hat. Besagter Dr. Talapor übernahm unsere Wartungsarbeiten in der Werft, und schlug sich … durchaus akzeptabel. Nein, er hat es wirklich ganz gut gemacht, muss ich zugeben. Aber das genügt natürlich noch lange nicht, seinen Frevel an den Ikonen, dem letzten Emir von Yehenna und Wahina auch nur im geringsten vergessen zu machen. Nein, nein. Sicherheitshalber vollzog Neptik noch unsere üblichen Rituale mit viel Weihrauch.   Danach brachen wir auf, zurück zur Portalstation zum Flug in das Rigel-System. Wahrscheinlich war auch Neptiks Ritual der entscheidende Faktor, warum wir auf den nächsten AE keine nennenswerte Abnutzung des Schiffes zu verzeichnen hatten.   Wieder plante ich problemlose die Mathematik für den Portalsprung im Kopf, und wieder stand meine Statuette bei Ankunft auf der Brücke. “Wir haben einen neuen Captain!”, scherzte meine Crew. Das hättet Ihr wohl gerne, haha. Ich hatte vor der Kryoschlaf meinen Nanitenanzug aktiviert, in der Hoffnung, er würde mich vielleicht vor dem Wahnsinn der Plasmastürme im Rigel-System schützen. Das letzte Mal bin ich dort ja bewusstlos geworden. Und es funktionierte. Diesmal erwischte es Moth, den ich wieder zu Bewusstsein bringen konnte, und Jibril, um den sich dann Moth als Schiffsarzt etwas professioneller kümmern konnte.   Im System tobten momentan wieder machtvolle, blaue Plasmastürme, die Ursache für die berüchtigte “mystische Blindheit”, die hier als Gefahr drohte. Ein Broadcast Funkspruch ließ die unheilvollen Gefühle in uns noch stärker werden. Ein offenbar wahnsinniger Heretiker flüsterte, düster brabbelnd, etwas davon, dass man nur in Rigel Erlösung finden könne, dass die Portale sich schließen könnten, dass Wesen hinter den Sternen warten, Große Alte; dass die Ikonen nur Symbole oder so etwas für den Gesichtslosen “hinter der Schwärze” seien, dass man “ihrem Pfad” folgen solle auf dem Weg der Wandlung, Formung des Fleisches und so weiter. Gruseln fasziniert hörte ich mir alles bis zu Ende an. Man erklärte mir, dass dies eine Funkspruch des “Rufs” sei, einer Verbindung wahnsinniger Mystiker, die hier in Rigel zuhause sind. Wie … einladend.   Solcherart abgelenkt, bemerkten wir fast zu spät, dass trotz abgeschaltetem Transponder und passiven Scannern der Reizon ein Piratenschiff aufgelauert hatte und uns nun in einen Raumkampf verwickelte. Ich sprang zurück auf meinen Kapitänssessel, Moth wurde zum Piloten, Kevin zum Sensor-”Offizier”, Jibril zum Bordschützen, Dr. Talapor wurde es gestattet, sich erneut als Ingenieur zu bewähren. Und in recht langem und zähen Ringen voller Ausweichmanöver und Finten gelang es uns, das gegnerische Schiff samt (irgendwie schon bedauernswerter) Crew mit einer Reaktorexplosion ins Jenseits zu befördern. Aber wie immer war solch ein Raumkampf höchst aufregend und gefährlich. Ab sofort gilt Exo-Pflicht an Bord, solange wir durch das All reisen.   Danach flogen wir weiter zum Planeten Rigel, unserem ersten und wichtigsten Ziel im System, da wir auf einem seiner beiden Monde - Denera - die wichtige Apollon-Station von Rusvanova Djinnware vermuteten, die uns mehr über die Geheimnisse rund um Kevin würde verraten können. Wir empfingen zwei uralte automatische Notrufe von Rigel und einer dortigen Station – ein Hilferuf und anscheinend konkurrierend oder als Update, eine Quarantäne-Nachricht. Dort soll angeblich vor 60 Zyklen ein geheimnisvolles Artefakt der Portalbauer verrückt gespielt haben, als eine seltsame Nachricht mit kryptischen Zeichen im System empfangen wurde (Jibril findet Ähnlichkeiten zu seiner Vision am Monolithen auf Uharu-7). Außerdem soll es noch potentiell sehr wertvolle Schiffswracks rund um Rigel geben. Rätsel, die wir auf später verschoben haben.   In Deneras Orbit begannen wir dann, mit aktiven Scannern, unsere Zielkoordinaten zu untersuchen und entdeckten dort auch eine schwache Energiesignatur. Der ganze Mond ist eine Krater-bedeckte Ruinenstadt, eine komplette Trümmerwüste, war aber früher einmal ein großes industrielles Zentrum – allerdings, wie wir heraus fanden, nun mit sehr toxischer, “anti-terra-geformter“ schwacher Restatmosphäre, die meines Wissens nach nicht von Gas- oder Sporenbomben herrührte konnte, sondern bewusst so gestaltet worden sein muß.   An den Koordinaten entdeckten wir schließlich eine nur an den ausgängen erkennbare Fabrikanlage, die in einen Berghang hineingebaut worden war, und landeten vorsichtig auf einem ramponierten Landefeld in der Nähe. Trümmer, verbrannte Reste von Leichen... Angenehm hier, beim Boten! Frühere Abwehrgeschütze waren zum Glück vor langer Zeit durch ein Bombardement ausgeschaltet worden.   Und so begaben wir uns auf unserer Entdeckungsmission in die Apollon-Station, mit maximaler Ausrüstung dank der geringen Schwerkraft. Schweißgerät, Kampfschild, alles dabei. Sechs Eingänge führen in diese Produktionsanlage, alle zugeschweißt. Es dauert eine Weile, und hinter einigen Türen warteten weitere zugeschweißte Schotten. Dahinter ein Geschützturm (den wir weise vermieden), an einer anderen Stelle dann ein mächtiger Kampfroboter (den wir wiederum wegpusteten) und lästige Drohnen mit Stun Guns (die mir verdammt viel Stress bereiteten) - diese sahen SAM sehr ähnlich, Kevins “Bruder”. Diese Drohnen hatten die unangenehme Fähigkeit, aufgeschweißte Türen wieder von innen zu versiegeln. Wir fegten alle weg, auch wenn Kevin irgendwie bedrückt dabei wirkte – wenn das bei einer Drohne überhaupt möglich ist.   Und so irrten wir durch die Anlage, durch Büroräume und Produktionsanlagen, bis wir einen Fahrstuhl in ein Untergeschoss fanden, den Kevin mit seinem eingebauten Mini-Reaktor mit Energie versorgen konnte. Unten dann eine verschweißte Aufzugstür – wieder ein Fall für Dr. Talapor. Dahinter dann ein sehr warmer Raum voller Dschinn-Technik, meterhoher Server, Speicherbausteine und Terminals.   Wir wurden von einer weiblichen Stimme begrüßt: “Hallo, ich bin Ana.” Etwa die Ana, aus dem Video von Modell 1? Offenbar ja. Wir sind hier einem großen Geheimnis auf der Spur. Ana erzählte uns von Lazarus und dass sie von diesem “abstamme” (wie ist das möglich, als KI? dass Lazarus gegen seinen Willen aufgeteilt wurde; dass sie die Produktionsanlage umfunktioniert hatte, um Kampfroboter zur Verteidigung (oder Befreiung?) von Lazarus zu bauen. Lazarus sei der Menschheit außerdem um Jahrhunderte voraus und wie sie, Ana, eine denkende Entität mit Selbsterhaltungs-ähm, -Trieb?   Ferner gibt Ana zu, dass sie die menschliche Besatzung der Station eigenmächtig getötet hatte, wie auch eine Videoaufzeichnung zeigt, die wir fanden (aus der unser kluger Dr. Talapor trotz all dem Grauen auch das Passwort für ein Sicherheitsterminal herausfand). Aus Gründen der Selbstverteidigung, wie sie behaupte. Natürlich. Der arme Mann im Video hätte ja vermutlich auch nur bewusstlos geschlagen werden können, wenn dieses Argument überhaupt zutrifft.   Anas Wunsch: weiter zu existieren. Von hier weggebracht zu werden. Sie könne zu einer Schiffs-KI werden. Kevin ist begeistert und will sich jetzt sofort mit ihren Systemen zum Datenaustausch verbinden, was ich aber aktuell unterbinde. Was kann dabei nicht alles schieflaufen. Sie scheint mir diese Verbindung zu (!) geschickt zu fordern.   Ana behauptet nämlich, keine besonders guten Kameras mehr zu besitzen, um sich die Aufzeichnung von Model 1 in ausreichender qualität anzusehen (die berühmte “Ana!”-Sequenz aus der Minerva-Station), sondern nur Audiosensoren, die aber sogar unsere Herzschläge vermessen konnten. Aber warum gab es dann so klare Videoaufzeichnungen vom Mord am Fabrikaufseher? Lügt sie?   Sie gibt allerdings die Morde zu, rechtfertigt sie aber als logisch. Unsere eigenen “feindlichen Handlungen” bisher würde sie uns aber nachsehen. Aha. Danke. Sie ist Einheit 65 so ähnlich. Ich hoffe, Einheit 66 wird nicht auch so enden.   Womit haben wir es hier zu tun? Wir müssen uns in Ruhe beraten. Vielleicht hilft uns ein Protokoll dabei, das Talapor vom Terminal heruntergeladen hat. Ich behalte aber Kevin jede Sekunde im Auge, während ich diese letzten Sätze meines Logs hier gerade live einspreche.   Layla Out.
Andere Logbücher der gleichen Zeitspanne:   Dr. Ekrem Q. Talapor Eintrag 5: Eine kleine Zusammenfassung...   Moth I. Roxar Eintrag 22a: Klänge für die Ikonen   Eintrag 22b: Eintrag 22b: Die Logik einer künstlichen Intelligenz
Datum des Berichts
31 Jan 2021
Nebenschauplätze

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