Eintrag 39: Der Tod des Abgesandten
General Summary
Athna der 37te Tag im Segment des Gesichtslosen im Zyklus 61CZ - 1 Tage bis zur Zyklade
Aus dem persönlichen Audiolog von Layla Al-Biruni
Aus dem Palast flohen zahlreiche Menschen in die Straßen Klein-Algols. Beim Aufstehen bemerkte ich kurz eine Pistole in Koshas Strumpfband – allzeit bereit scheint diese Judikatorin zu sein. Ich selbst suchte mir ebenfalls im Gewirr an Waffen und Menschen eine neue Energiezelle für den Speer und begab mich auf die Suche nach der Maschinistin Jarja.
Es gab noch vereinzelte Feuergefechte. Ich gelangte zu einer verschlossenen Tür, als sich irgendwo im Keller eine Explosion ereignet und Staubwolken die Sicht behinderten. Kampfgeräusche und Bellen drangen aus der Tiefe. Ich behielt mein Kleid an, aktivierte aber den Nanitenanzug. Über eine Wendeltreppe konnte ich schließlich nach unten gelangen, in ein Labor mit Spinden und Käfigen für Nekatra.
Eine Assassinin in Bediensteten-Kleidung schoß gerade mit einer AR-Pistole auf eine andere Frau. Ich griff sie mit meinem Speer an, mit Erfolg. Sie verletzte mich aber mit einem Gift-getränkten Knochendolch. Eine Lähmung breitete sich von meinem Arm in meinem Körper aus. Die Assassinin hatte ich aber auch schlimm erwischt. Sie hauchte noch sterbend “Für das Licht!”. Auf mein “Warum?” kam noch “Es ist zu Eurem Schutz!”, bevor sie einen Giftzahn zerbrach und starb.
Ich konnte ihr Opfer, Jarja, noch stabilisieren und erkannte dabei ihr Narbengesicht wieder; ich hatte sie bereits vorher oben im Palast gesehen, und sie stimmt auch mit der Beschreibung des Jungen überein, den wir von dem Sklavenhändler befreit hatten. Dann verlor ich erstmal das Bewusstsein.
Als ich wieder die Augen öffnete, sah ich eine weiße, strahlende Gestalt, die eine wunderbare Melodie anstimmte: Moth! Er lächelte mich freundlich an und legte mir seine Hände auf. Und meine Wunden heilten, das Gift verlor seine Wirkung. Bei den Ikonen! Er muss wirklich auch ein Abgesandter sein, er wirkt Wunder!
Ich konnte leider niemanden der anderen erreichen, der Funk war immer noch gestört. Wir untersuchten noch kurz die Attentäterin, die zalosianische Tattoos hatte. Ihren Knochendolch nahm ich vorsichtig mit, auch ein kleines Gerät, ein Tag mit einem Knopf unbekannter Funktion.
In der Werkstatt fanden wir mehrere qualvoll verstorbene Personen in defekten Stasisbetten sowie massiv misshandelte Nekatra. Auch ein Tabula mit Zugangscode konnten wir entdecken sowie einen Waffenschrank mit einem speziellen Vulkankarabiner der Legion und Munition. Überhaupt sah alles hier unten auch nach einer Munitionswerkstatt aus.
Ein Knopf öffnete ein großes Rolltor, das zu einem unterirdischen Kanal oder Fluss führte. Zusammen mit Jarja, die auch überlebt hatte, traten wir nun eine Kahnfahrt an, um den Palast auf sicherem Wege zu verlassen. Derweil sichtete ich das Tabula, auf dem zahlreiche Warenlieferungen insbesondere von Spezialmunition verzeichnet waren, wobei sich auch der Name Salamah Ach-Abaud fand, der Diakonin der Samariter.
Wir paddelten ungefähr eine Viertelstunde durch den Kanal in sehr abgestandener Luft. Seitentunnel waren meist eingestürzt. Währenddessen konnte ich mich ein wenig mit Jarja unterhalten. Dol-Quassar habe seine Untergebenen und auch die Tiere oft misshandelt, endlich sei er tot. Die Geschäfte mit Waffen und Spezialmunition habe sie hinter seinem Rücken gemacht, um irgendwann mit etwas Birr fliehen zu können. Die Zalosianer habe sie aber nie persönlich getroffen. Dem Jungen habe sie die Armschlinge umgehängt, damit er als “beschädigte Ware” auf dem Basar verkauft wird, statt in die Lager geschickt zu werden. Sie habe sehr schlimme andere Schicksale mitbekommen.
Das Spezialkommando von Zalos sei inoffiziell hier gewesen und hätte deshalb ihre Ware gebraucht. Schließlich ist das hier die Heimat des Asturban, der die ganzen Aktionen aber möglicherweise geduldet habe. Sie zeigte auch Transportlisten mit 25 Stasisbetten, davon 6 beschädigt. Einige waren als weiß markiert. Als Entschädigung für beschädigte Ware gab es andere Sklaven von Artyr.
Die Basis der Zalosianer befände sich in den verfluchten Sümpfen von Sultra, wohin auch dieser Kanal führte. Hier hatte es wohl bis vor sechs Zyklen eine blühende Stadt namens Sul-Mahala in einer damals noch fruchtbaren Landschaft gegeben. Dann sei in Zyklus 57 ein Schiff hier niedergegangen, die Abdu-Salah, ein Forschungsschiff des Instituts. Die Besatzung hatte unter Hyperraumkrankheit gelitten und auffällige Verhaltensmuster und psychologische Merkwürdigkeiten gezeigt, insbesondere eine ungewöhnlich hohe Auffassungsgabe. Irgendwie habe der Kapitän eine große Flutkatastrophe ausgelöst. Und dann gab es noch gespenstische Erwähnungen eines rätselhaften Artefakts namens Katarakt 27 und das Auffinden der toten Besatzung, in einem Halbkreis. Und den Tod der gesamten Bevölkerung der Stadt, fast 30.000 Menschen.
Das klang also genau nach einem passenden Ort, der nur auf uns wartet. Hätte ich den Mund nur nicht so voll genommen … Inzwischen hatte ich einmal testweise auf den Knopf des Geräts der Assassinin gedrückt, und siehe da, die Funkverbindung funktionierte wieder! Ein Störsender oder so etwas also. Und so konnte wir uns alle am Ausgang aus dem Kanalsystem wieder treffen, auch die Judikatorin kam hinzu, wieder in ihrer bekannten Panzerung.
Jarja zeichnete uns eine Karte zu den Ruinen von Sul-Mahala, während ich mich umkleidete und wieder meine von den anderen mitgebrachte Kampfrüstung anzog. Dann ließen wir Jarja frei ziehen, die ihr Glück jetzt in die eigenen Hände nehmen wird.
Wir waren zwei weitere Stunden unterwegs, als sich die Vegetation stark änderte, alles war nun von einer stinkende Fäulnis durchdrungen. Halbverfallene Türme tauchten aus dem Wasser auf. Plätschern. Humanoide Gestalten in den tiefen Schatten von Mangroven. Es war nun dunkle Nacht, die aber von der Finsternis des Ortes noch verstärkt zu werden schien. Wir folgten dem Flusslauf weiter mit dem Kahn. Irgendein Wesen folgte uns. Dann sichteten wir eine kreisförmige Masse von tiefschwarzen Schatten, die dann abtauchte. Merkwürdige Schreie aus der Ferne, panisch, Ekilibris in Not? Und ein Brummen, von einem Raumschiff? Ja, da erblickten wir es. Ein Klasse-3 Schiff mit miranischer Inschrift, die “Blume von Odina”. Das Schiff versuchte im Schwebeflug, Käfige mit Ekilibris aus dem finsteren Wasser zu ziehen, deren Stahlseile sich im Morast verheddert hatten.
Schmuggler! Ich konnte die Ekilibris nicht sterben lassen, darum halfen wir bei der Bergung. Mit Kevins Hilfe gelang es, die Käfige zu befreien. Der Anführer der Bande hieß Jor Andela, er hat nur ein Auge und einen Cyberarm. Wir tauschten Kontaktdaten aus. Insgeheim hasse ich solche Schmuggler, aber wir hatten keine Zeit, um die Ekilibris zu befreien und wegzubringen.
Und so fuhren wir weiter mit dem Kahn durch die Nacht. Irgendwann bemerkten wir ein mächtiges Störsignal, unser Kommunikatoren funktionierten nicht mehr, auch Kevin war nur noch eingeschränkt einsatzfähig. Jibril und auch ich hatten starke Kopfschmerzen.
Dann … Tunnelblick … Vision … hört mein Lied, die Gnade einer Ikone … was war nur los? Welches Lied ist gemeint? Moth, wie singt man es? “Man kann sich daran beteiligen, dass es stärker wird. Wollt ihr eine heile Welt?” Weitere Stimmen. Sind das die Abgesandten, die das Lied singen? Sollen wir dem Lied folgen, oder besser nicht? Impressionen: Zalosianer, der Asturban, die zenithische Hegemonie – alle verblendet durch ihre Macht …
Vor uns tauchten die Ruinen einer großen Stadt auf. Und huschende Schatten, die wir nur aus den Augenwinkeln sahen. Eine Anlegestelle bot sich an, allerdings war alles hier von einer schleimigen Biomasse überzogen. Und so stiegen wir leise aus. Talapor übernahm mit seinen Monsterkräften den Großteil unserer Ausrüstung. Die Judikatorin schlich voran, geschickt dem Schleim ausweichend.
Und Kevin … bestätigte sich als ein Werkzeug der Dunkelheit, des Wahnsinns und des Todes.
Völlig unvermittelt warf er einen Stein auf den Schleim. Ein riesiger Aufruhr entstand, und wir wurden angegriffen. Er hatte die Geister von Sultra geweckt! Sie umzingelten uns in großer Anzahl. Hätte ich ein Banner der Zarathustra-Legion, so wäre dies nun unser “Final Stand”, wo man sich um das Banner schart und bis zum Ende kämpft. Aber alles ging so schnell. Viele von uns gingen zu Boden, schwer verwundet.
Moth und Jibril gingen zu Boden und starben, Jibril zerfetzten sie dabei völlig.
Wir konnten die Flut der Gegner mit letzter Kraft stoppen und uns etwas zurückziehen. Meine erste Hilfe konnte ich nur bei Moth probieren, Jibril war kaum mehr als Mensch zu erkennen. Doch auch die Notversorgung bei Moth versagte. Er flüsterte noch: “Sing sein Lied!”
Und so fiel ich auf die Knie und erhob meine Stimme zum Lied des Abgesandten. Laut und hell klang es in durch den tiefschwarzen Dschungel. In Gedanken betete ich so intensiv zu meiner Ikone wie noch niemals zuvor. Der Bote. Er ist auch die Ikone des verschwundenen Abgesandten.
Ich wiederholte die Melodie. Talapor und Zein stimmten mit ein. Kevin versuchte alles mit elektronischer Musik zu untermalen. Ein leichter, nebliger Film bildete sich um Moth herum und seine Wunden begannen sich zu schließen. Ein Wunder der Ikonen! Er wachte auf.
Aber er schaute entsetzt in den Himmel. Dort oben, ein riesiger weißer Schmetterling! Mit perfekten symmetrischen Glyphen. Eine Welle von Angst und Furcht überkam uns. Die Luft war objektiv kühler geworden. Ein Schiff! Es verließ Kua.
Moth stürmte voran in Richtung eines zerfallenen Gebäudes, das wohl früher einmal ein Krankenhaus war. Es entpuppte sich als Außenposter der “Märtyrer”, die hier aber alles hastig fallen gelassen hatten und wohl in alle Richtungen in den Dschungel verschwunden waren.
Im Gebäude, dutzende Betten mit Leichnamen, gefoltert und martialisch hingerichtet. Alle trugen schwarze Kreuze auf der Stirn. Die Luft war wie eine dichte Flüssigkeit. Nun griff offenbar wieder der Wahnsinn nach mir, im folgenden meine Impressionen, soweit ich sie überhaupt in Worte fassen kann.
Ein Bild: drei weiße Gestalten, die nach mir greifen, von einem Lied aus meinem Inneren abgehalten. Ein Raum mit Waben, zalosianische Gebetssymbole. Ein besonderer Leichnam. Moth: “Bruder!” Perfekte Stille. Feuer und Licht aus dem Mund des Abgesandten.
Ein Tal mit weißen Gebäuden. Ziggurats. Jemand kommt singend auf uns zu. Eine kleine androgyne Gestalt, schwarze Haut, rasierter Kopf. “So treffen wir uns endlich. Mein Gefäß ist zerstört.” Singvogel. Alter Erzfeind. Agenten des Weißen Schmetterlings. Aufziehende Schatten. Knall. Der Schmetterling. Greller Lichtblitz. Zurück im Krankenhaus. Formlose Schatten. Unmöglicher Riss. Bände aus Finsternis. Der Leichnam wird zerrissen von einer riesigen Gestalt aus Dunkelheit.
Realität. Wir sind auf der Flucht. Der Störsender in diesem Gebiet war jetzt deaktiviert, ein Werk der Judikatorin? Die dunkle Gestalt verkleinerte sich auf humanoide Formen, sie rast hinter uns her. Ich schieße. Das Monster verschwindet. Ist nun vor uns. Wir flüchten zurück. Und so ging es weiter. Bis ich einen entscheidenden Treffer landete und es endgültig verschwand. Es ließ einen Schwarm aus dunklen Bändern zurück.
Zein in Schockstarre, dann brach sie zusammen. Moth fing sie auf. Talapor, von Horror gezeichnet. Ich selbst fing an zu zittern, was noch lange anhalten würde. Der Talisman meiner Schwester hat mich beschützt, ist aber nun zerbrochen.
Wir hörten unheilvolle Geräusche, eine Armada von Drohnen im Anflug. Torpedos schlugen um uns ein. Auf dem gesamten Gebiet. Schrapnellsplitter um uns. Ich verlor das Bewusstsein. Moth brachte mich zurück.
Feuerfontänen im gesamten Areal. Ich gab meiner Crew das ULTIMATIVE KOMMANDO: zurück ins Krankenhaus und Schutz suchen! Moth erzeugte ein Schutzschild aus wirbelnden Trümmern. Aber das Wesen war wieder da! Talapor wurde erneut von Wahnsinn befallen. Wir rannten in den Keller, in die Leichenhalle mit den zersägten Mystikern. Zum Raum mit dem toten Abgesandten. Die Bannkreise waren gegen ihn ausgerichtet und halfen uns nicht gegen das Monster. Schüsse. Flucht. Alles drehte sich im Kreis, wiederholte sich endlos.
Bis das Wesen auf einmal verschwand und sich in ein Blatt verwandelte, zu Boden schwebte. Moth sagte, wir sollen es nicht berühren und es hier lassen. Uns so traten wir ins Freie, in ein verwüstetes Gebiet. Unser Shuttle kam, um uns abzuholen, vorsichtig einen Bogen ziehend im Anflug.
Wir gingen an Bord. Gezeichnet. Voller Blut. Zitternd. Jeder gefangen im eigenen Schrecken, der persönlichen Dunkelheit.
Layla Out.
Kommentare