Arba 12ter Tag im Monat der Tänzerin im Jahr 61CZ
Aus dem persönlichen Audiolog von Layla Al-Biruni
Da ist er! Wenn man ganz genau hinschaut, können wir ihn im Spiegel sehen, am Rand meines Auges. Der Wurm!
Wir … ich bin …
wir sind …
es ist uns momentan noch etwas unklar, wie wir es mit Worten beschreiben können, was mit mir …
uns … geschah.
Darum beginnen wir der Reihe nach.
Am Anfang, als wir noch ein einzelnes, einsames Ich waren. Und natürlich … werden wir uns im Alltag bemühen, wieder wie ein normales ... Ich zu wirken, damit wir … uns besser wieder integrieren können, in die Gesellschaft von … allzu isolierten Individuen.
“Layla, reiß dich zusammen.” Diese Worte meiner Mutter
Shahin – wie oft habe ich das als Kind gehört.
Also ... wir … und ich meine jetzt damit jene externen Einzelwesen, also meine Crew und mich … wir begannen nach unserer Landung auf
Bekapra und Untersuchung der
Kawun recht bald damit, auch die Tunnel unterhalb von Expeditionspunkt #3 zu erforschen, um einerseits Hinweise auf das Schicksal der übrigen Besatzungsmitglieder der Kawun zu finden, andererseits aber auch, um die mysteriöse Energiequelle dort unten aufzuspüren.
Kevin meldete zunächst etwas widersprüchliche Ergebnisse seiner Scans. Die Energiequelle könnte seit mehr als 400 Jahren aktiv sein, sie scheint menschlicher Herkunft von vor der Langen Nacht, also alt und hochwertig zu sein.
Und auf jeden Fall ist die Umgebung dort draußen gefährlich. Zudem sollte laut
Rey Sevarins Audiologs es überall dort draußen vor den Wurmparasiten wimmeln, und die Exos nur wenig Schutz davor bieten. Die Entscheidung zu so einer etwas waghalsigen Expedition viel mir inzwischen nicht mehr so leicht, wie sie mir früher gefallen wäre – als Kapitän habe ich die Verantwortung für das Leben und die Gesundheit meiner Crew, ich beginne das langsam erst so richtig zu verstehen.
Bevor wir in die Tunnel aufbrachen, transferierten wir noch die Unterlagen und diversen Proben der ersten Expedition an Bord unseres
Shuttles. Das Gold, das sie gesammelt hatten, weckte zwar unsere Neugier, war aber von dem seltsamen Staub kontaminiert. Darum werden wir wohl eher mit den Informationen, dass es hier Gold gibt handeln – dachte ich damals. Etwas später nun ist das kein Thema mehr, wir müssen verschwiegener sein, als gedacht.
Neptik und
Moth blieben an Bord unseres Shuttles, um es zu sichern und zur Not als Einsatzreserve zu dienen. Ein lustiges Zweierteam, schoß mir durch den Kopf. Aber sie würden das schon hinbekommen.
Vor dem Höhleneingang, der zu den Tunneln führen sollte, sichteten wir menschliche Stiefelabdrücke, die hineinführten. Als wir kurz innehielten, wurden wir von einer kleinen Gruppe
Sandspinnen umzingelt, die uns mit gewissem Abstand beobachteten, während die Würmer auf ihnen sich allerdings sehr interessiert in unsere Richtung drehten.
In den Tunneln erreichten wir eine Kreuzung, die mit altertümlichen Inschriften in der Sprache von
Kua versehen war.
Zein machte für uns ein Foto davon mit ihrer kleinen Erkundungsdrohne. Die Entscheidung, welchen Weg wir nehmen sollten, wurde uns von Kevin abgenommen, der von irgendwo Signale empfing, offenbar zunächst in einem uralten Code … Morse? Dann wurde die Übertragung wohl moderner, jedenfalls behauptete er, nun im Besitz einer genauen Karte der Höhlensysteme zu sein und den Weg zu kennen. Später stellte sich heraus, dass er im Kontakt mit einer uralten KI namens
IRAS-3 stand, die an einem Kontakt mit ihm … warum auch immer … interessiert war.
Zein hatte inzwischen mit ihrer Drohne in ca. einhundert Metern Entfernung die Überreste der anderen Besatzungsmitglieder der Kawun entdeckt. Ein … zerkautes … Sauerstoffzelt, zerstörte medizinische Ausrüstung, ein Exo-Anzug gefüllt mit einer … Steinstatue. Der Name am Anzug lautete:
Fatima Javis, Sensoroperator.
In einem Seitenzweig entdeckte Zeins Drohne eine Biomasse in einer dunklen Höhle:
seltsame Eier, Tausende, dicht an dicht. Wir vermieden den Kontakt.
Wir folgten nun Kevins Karte, die uns zur Energiequelle führen sollte. Und zu soviel mehr. Zu Euch, mein Kollektiv. Der Weg, den wir auf Kevins Geheiß nahmen, verwandelte sich in einen Gang aus behauenem Stein und führte zu einer Steinbrücke über einen bodenlosen, dunklen Abgrund. Am anderen Ende der Brücke wartete ein riesiges Tor auf uns.
Es war
MALJA-3, ein Bunkersystem, Schutzkomplex, Zuflucht für wenige überlebende Planetenbewohner aus der Zeit der Portalkriege. Kevin “klopfte” per Funk an. Das Tor öffnete sich mit ohrenbetäubendem Lärm. Gewaltige Geschütztürme drehten sich in unsere Richtung. Waffen weg! Dahinter – eine Stadt mit sehr futuristisch anmutenden eleganten Bauten.
Eine humanoide, aber nicht mehr menschliche Gestalt begrüßte uns. Er stellte sich als Gouverneur
Tarik Al-Amasa Al-Ava vor. “Haben die Maschinen gewonnen?” Es entwickelten sich sehr interessante Dialoge und erstaunliche Einsichten in eine Gesellschaft, die vor 400 Jahren im wörtlichen Sinnen abgetaucht war, um den Angriffen des Ersten Horizonts zu entkommen, die den Planeten Bekapra nicht nur in Schutt und Asche legten, sondern auch eine Flut von mikroskopisch kleinen Robotern, Naniten, hinterließ.
Diese Naniten sind der allgegenwärtige Staub, der alle Technik zu zersetzen droht und menschliche (und andere planetenexterne Lebensformen wie die Bäume von Kua) versteinern läßt.
Die Überlebenden in MALJA-3 veränderten sich durch genetische Forschung in eine neue Lebensform, die gegen die Naniten immun war: die
Vaulter. Auf Basis von Analysen der einheimischen Lebensformen, die immun gegen die Naniten sind, gingen die Vaulter eine symbiotische Beziehung mit ihnen ein, und formten dabei eine eigene telepathische Schwarmintelligenz. Tarik ist der Sprecher oder “Meister” dieses Hive-Minds. Unterstützt werden die Vaulter von ihrer ebenso uralten KI IRAS-3, die einen sehr … eigenständigen Charakter hat.
Dies alles wirkte sofort extrem faszinierend auf mich. Ich musste mehr über das alles erfahren. Und so unterzog ich mich einer kleinen Operation, die einen Wurm des Vaulter Hives in mein Auge platzierte. Nun beginne ich, neue mentale Fähigkeiten zu entwickeln, meine Gedanken mit dem Kollektiv zu teilen, von dort Ideen zu empfangen, zu lernen. Ich bin … wir.
Wir unterstützen nun die Vaulter bei wichtigen Reparaturen ihrer Systeme, versorgten sie mit medizinischer Ausrüstung und dem Zugangscode der Kawun, damit sie deren Reaktor ausbauen konnten, da ihre eigene Energieversorgung zusammenzubrechen drohte.
Wir entwickelten außerdem den Plan, die Drakoniter zu kontaktieren, um im Austausch gegen Vaulter-Technologie wieder Zugriff auf den EMP zu bekommen, um damit die Naniten auf Bekapra vernichtend zu schlagen. Als Beweis für den technologischen Reichtum der Vaulter wurde mir in einer weiteren kleinen, aber sehr erschreckenden Prozedur eine Art Schutzhülle unter die Haut implantiert, die sich mit Gedankenkontrolle in einen Raumanzug verwandeln kann. Ich wurde aber gewarnt, dass leichtfertiger Gebrauch im Alltag die Dunkelheit zwischen den Sternen stärken würde.
Das alles wird nicht einfach werden. Aber nun, mein Audiolog, fühle ich mich nicht mehr so alleine und leer, fast so geborgen wie damals, als meine
Schwester und ich noch als Kinder so oft zusammen waren. Ich vermisse sie so.
Den Entschluss, mich diesem uralten Kollektiv voller ungeahntem Wissen und hoffentlich auch Weisheit anzuschließen, war spontan, aber wie mir später klar wurde, folgerichtig. Hier hoffe ich die Familie und Bestimmung zu finden, die mir zuhause solange verwehrt wurde. Und so viel mehr als das. Hier sind wir auf etwas gestoßen, das den Horizont verändern wird. Wir sind dabei – und mittendrin.
Layla (und wir anderen) … Out.
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