Mission 1 - Epilog in Drift City | World Anvil

Mission 1 - Epilog

Das schrille Kreischen des Weckers aktivierte die ganze Einheit. Frau Krause, die jüngst angestellte Sekretärin, hatte in den wenigen Stunden, die ihnen zum Schlafen geblieben waren, ein kleines Frühstück und Kaffee vorbereitet. Die Nacht war lang gewesen. Nun war schon Nachmittag am 02.09.249 Ortszeit. Nur Elena, die schon länger in Hompton lebte, hatte sich bereits an die kürzeren Tage gewöhnt.   Der Tag hatte längst begonnen als sie mit den Gefangenen, einer Gruppe Kultisten des Skicons, die Basis erreichten. Harry hatte schon von unterwegs seinen Kollegen Arnulf Donnewitz von der HoSAG angerufen. Glücklicherweise waren gerade einige Zellen im Gefängnis frei und Donnewitz hatte die Gefangenen übernehmen können. So konnte die Truppe wenigstens einige Stunden ruhen, bevor weitere Aufgaben erledigt werden mussten.   Das Licht des Besprechungsraumes wirkte auf seine künstliche Art unangenehm. Das leichte Surren der Lüftung und das entfernte Trommeln des Regens weiter oben auf die Kuppel erschienen zusammen wie das Getöse eines startenden Mektons. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand richtete Harry sich auf und sammelte sich. „Es hilft alles nichts. Wenn wir länger warten, könnten die übrigen Spinner im Dschungel was merken. Dann kommen wir da an und es ist keiner mehr da. Aber wir müssen auch den Jungen beobachten. Wer weiß, was diese Typen mit ihm angestellt haben. Am Ende verwandelt er sich in irgendein Monster. Alles schon gehabt." Das Schweigen der Anderen gab ihm recht. Er bemerkte jedoch das stille Nicken Elenas, die als einzige damals beim Frederikson-Vorfall ebenfalls dabei war.   Schnelles Handeln war also gefragt: Einerseits musste der arme Junge, Kevin Sconie, den sie aus den Fängen der Kultisten befreiten, medizinisch versorgt und untersucht werden. Andererseits waren weitere Mitglieder des Kultes noch immer da draußen in der Siedlung. Von ihnen ging natürlich auch eine Gefahr aus. Inzwischen war die zweite Kanne Kaffee aufgesetzt.  

Leonard

  Nur ungern überließ Leonard den Jungen Kevin den Ärzten der Klinik. Es widersprach seiner ärztlichen Fürsorgepflicht, aber was sollte er tun? Er war den ganzen Tag und die Nacht unterwegs gewesen und hatte eine Pause gebraucht. Unausgeruht hätte er wahrscheinlich etwas Wichtiges übersehen oder schlimmer noch, einen Fehler gemacht. Unmittelbar nach der Absprache mit Harry und den anderen, machte er sich auf den Weg hinüber zur einen Block weiter gelegenen Klinik.   Die Klinik in Hompton konnte natürlich mit keinem der Spezialhospitale auf Novis mithalten. Dennoch war sie als zentrales Sektor-Krankenhaus technisch mit einer Vielzahl von medizinischen Geräten ausgestattet. Leonards Ansicht nach, war das gerade die Grundausstattung und er fragte sich, was so schwer daran sein konnte, einen Investor zu finden, der das Hospital ordentlich auf Vordermann brachte und besser ausstattete. Aber das war nicht seine Aufgabe. Er war eben Arzt und kein Manager.   Noch bevor sich Leonard die dringend benötigte Pause gönnte, hatte er noch das Personal der Klinik angewiesen, Kevin Sconie einigen Untersuchungen zu unterziehen, die er auswerten wollte, sobald er sich etwas erholt hatte.   Die Nachmittagsschicht hatte gerade begonnen, als er das sterile Behandlungszimmer im Quarantänetrakt der Klinik betrat. Es roch stark nach Desinfektionsmittel und Seife. Einer der Angestellten, ein junger Arzthelfer namens Alfredo Zodiak, ein Bursche aus der Föderation, bereitete gerade für Leonard die Ergebnisse der Untersuchungen auf. Auf großen, übersichtlichen Monitoren prangten Scans, 3D-Modelle und Analysediagramme des Patienten, der nebenan in einem künstlichen Koma lag.   „Geben Sie mir eine Zusammenfassung. Ist etwas passiert, während ich weg war?“ Fragte Leonard seinen Aushilfsassistenten.   „Sicher, Herr Dr. Hamshire. Kevins Zustand ist noch immer instabil. Er ist sehr geschwächt, hat vermutlich mehrere Tage nichts gegessen.“ Der Assistent zeigte auf ein Diagramm der Vital-Funktionen, das besonders niedrige Werte zeigte. „Es wird eine Weile dauern, bis er sich erholt hat. Hier sind noch die Scans der inneren Organe, die Sie angefordert hatten.“ Der Bildschirm änderte die Anzeige, als Zodiak die Daten durchlaufen ließ. „Wenn ich noch etwas für Sie tun kann, geben Sie mir einfach Bescheid.“   „Sicher doch. Und vielen Dank für Ihre Mühe.“ Der junge Assistent war schon halb zur Tür heraus, da rief ihm Leonard etwas nach. „Achja, könnten Sie mir vielleicht einen Kaffee bringen?“  

Elena

  Schon während der Fahrt zurück nach Hompton hatte Leonard aus Kevins zerschundenen Körper zwei Implantate entfernt. Nichts, was Elena gern gesehen hätte, aber sie hatte schon schlimmeres überstanden.   Sie saß auf einem drehbaren Hocker in ihrer Werkstatt und überlegte, was sie mit dem Ding anstellen sollte, dass diese Bekloppten aus dem Dschungel dem armen Jungen eingesetzt hatten. Bei der Vorstellung, dass sie sich womöglich ohne medizinische Kenntnisse an solche Operationen wagten, mitten im Nirgendwo, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Lieber nicht daran denken, sie hatte andere Dinge zu tun. Musternd hielt sie das Gebilde, das einem Computerchip ähnelte, gegen das grellweiße Licht der Deckenbeleuchtung. Ein Computerchip also.   Sie durchsuchte das SIN-Lager, mit dem sie noch nicht vertraut war. Zwar lebte sie nun schon einige Jahre in Hompton, aber der Stützpunkt kam ihr trotzdem noch fremd vor. SIN hatte ihn vor wenigen Tagen erst eingerichtet. Früher einmal war hier der Stützpunkt der HoSAG. Hompton war noch sehr viel kleiner gewesen und die Stadtsicherheit überwiegend damit beschäftigt, Tiere und Banditen abzuwehren. Die Hangars für ihre Mektons waren gut ausgestattet, was Elena sehr begrüßte. Aber das Ersatzteillager könnte etwas voller sein.   Als sie alle erforderlichen Teile zusammen hatte, verließ sie das Lager und kehrte zu ihrer Werkbank zurück. Die nächsten Stunden beschäftigte sie sich damit, eine Testumgebung für den Chip einzurichten. Die Pins, sofern es denn welche waren, mussten nacheinander überprüft werden. Welcher war eine Eingangsschnittstelle, welcher war eine Ausgangsschnittstelle? Das Programm, dass sie für diesen Zweck notdürftig geschrieben hatte, würde ihr gleich mehr verraten. Normalerweise gab es Normen für Halbleiterelemente, die beschrieben, welche Pins wie zu belegen sind. Aber hier handelte es sich offensichtlich um ein Unikat, dass sich nicht für Normen zu interessieren schien.   Vorsichtig setzte sie das erste Implantat in die Testvorrichtung. Sie achtete darauf, dass alle PINs Kontakt mit den entsprechenden Schnittstellen hatten. „Dann wollen wir doch mal sehen, was du so kannst“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem Implantat. Dann griff sie zu dem Knopf, der das Messprogramm startete.  

Barel & Harry

  In den letzten Stunden hatte es stark geregnet. Aber das Glück schien auf ihrer Seite zu sein, denn im Moment ließ es etwas nach. Barels Überwachungsjeep war noch immer lädiert von dem Schuss in den Motorraum. Harry hatte den Schaden zwar notdürftig beheben können, damit sie zurück nach Hompton fahren konnten. Aber als sie ankamen, gab der Wagen endgültig den Geist auf. Elena würde ihn sich ansehen müssen, wenn sie die Sache mit dem Implantat hinter sich gebracht hatte.   Sie waren in einem Truppentransporter unterwegs, den Harry von Donnewitz leihen konnte. Wenn es darum ging, Kultisten hops zu nehmen, schien Donnewitz sehr großzügig mit seinen Ressourcen umzugehen. Zumindest mit den Materiellen. Der Wagen glich einem Bus auf Steroiden. Das Fahrgestell war verbreitert und höher gelegt worden, der Passagierraum optional von der Fahrerkabine trennbar. Damit würden sie auch durch die schlammigen Pisten ihr Ziel erreichen.   Was ihnen eher Sorgen bereitete, war die Rückfahrt. Wenn sie wirklich knapp 20 Personen dabei hatten und es längst dunkel geworden war, würde die Fahrt auf den unbefestigten Wegen zum Abenteuer. Sie rechneten damit, dass sie die Siedlung spät am Abend erreichten. An sich spielten ihnen die Dämmerung und die beginnende Dunkelheit der Nacht in die Hände. Mit Nachtsichtgeräten ausgestattet hatten sie im besten Fall sogar das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Wenn alles glattlief, würden sie keinen Schuss abgeben müssen. Harry aber rechnete fest damit, dass sie sich mittlerweile formiert hatten und es zu einem Gefecht kommen würde. Er war jedoch vorbereitet.   Je tiefer sie in den Dschungel vordrangen, desto schwieriger wurde die Fahrt. Barel musste sich hoch konzentrieren, um nicht vom Weg abzugeraten. Ständig schlidderte der Transporter nach rechts und links. Zum Glück waren Fahrzeuge auf Trevon standardmäßig mit Allradantrieb ausgestattet.   In sehr fortgeschrittener Dämmerung, etwas später als geplant, passierten sie die Stelle, an der sie am Tag zuvor die Buggys der Kultisten hochgenommen hatten. Die Tatsache, dass die Fahrzeuge, oder besser gesagt deren Überreste, nicht mehr da waren, deutete darauf hin, dass die übrigen Mitglieder der Siedlung bereits ahnten, dass etwas nicht in Ordnung war.   „Die wissen, dass wir kommen. Wie ich es mir schon dachte.“ Prognostizierte Harry und prüfte den Sitz seiner Waffen.   Barel setzte das Fahrzeug wieder in Bewegung. „Ich werde etwas langsamer fahren. Wir müssen sie ja nicht unbedingt mit dem lauten Gebrüll des Motors aufmerksam machen.“ Fast im Schritttempo näherten sie sich der Siedlung. Als das Tor halbwegs in Sichtweite war, stellten sie den Wagen ab und näherten sich vorsichtig der Einfahrt. Harry wusste durch den ungeplanten Besuch am Vortag noch genau, wo der Wachturm stand. Sollte sich dort noch ein Schütze aufhalten, konnte dieser durch seine Übersicht noch lästig werden. Die um sie herum zunehmende Dunkelheit versprach, einen gewissen Schutz zu geben. In einiger Entfernung schrien ein paar Affen auf. Noch immer regnete es leicht. Das Klicken und Fiepen der Nachtsichtgeräte ging in der akustischen Kulisse des Waldes bei Dämmerung unter. Ab jetzt wurde nur noch per Handzeichen kommuniziert. Mit Waffen im Anschlag und sich gegenseitig abwechselnd sichernd betraten sie die Siedlung.  

Leonard

  Irgendwie ergab das alles keinen Sinn. Leonard ging nun schon zum dritten Mal die Daten durch. Irgendetwas musste er doch übersehen haben! Zodiak saß neben ihm. Sein Blick zeugte von noch größerer Verwirrung. Ab und an fragte ihn Leonard nach bestimmten Daten, die er dann sortierte und auf den Bildschirmen darstellen ließ.   „Geben Sie mir bitte nochmal das Blutbild. Es muss mit dem Blut zusammenhängen, anders kann es nicht sein.“ Zodiak schickte es auf den zentralen Schirm. „Wann wurde das aufgenommen?“ Zodiak blickte auf die Uhr. „Vor etwa 10 Stunden.“   „Wir machen ein neues. Ich will wissen, ob es sich geändert hat.“   „Warum sollte es? Er liegt doch die ganze Zeit regungslos da und die Implantate haben Sie doch schon entfernt.“ Mit dem Daumen zeigte er hinter sich auf den Raum, in dem Kevin Sconie lag.   „Sehen Sie diese Werte? Typisch für eine schwere Blutvergiftung. Hätte Kevin Sconie eine Blutvergiftung, müsste er aber eigentlich auch andere Symptome zeigen. Zum Beispiel dieser Wert, der ist viel zu niedrig.“   „Aber dann können wir eine Blutvergiftung doch eigentlich ausschließen, oder?“   „Nein. Nehmen Sie ihm noch einmal Blut ab und bringen Sie es ins Labor. Irgendetwas stimmt da nicht.“   Alfredo Zodiak war ein junger Arzt, der seine akademische Ausbildung gerade erst abgeschlossen hatte. Als er die Nadel und das Probenröhrchen nahm, bemerkte Leonard, das Zittern seines Assistenten. Innerlich rollte er mit den Augen. Er nahm ihm die Utensilien ab und legte sie beiseite. Neben Kevin Sconies Bett standen eine Reihe von vorher präparierten Probenröhrchen bereit. Eines davon klemmte er an den Schlauch, der zu Kevins Arm führte, dann öffnete er das Ventil zu der Kanüle in der Armbeuge. „Sie sollten mal eine Weile bei den Rettungskräften arbeiten. Ein Praktikum täte Ihnen wirklich gut. Der Arztberuf besteht aus mehr, als Symptomen Krankheiten und Gebrechen zuzuordnen.“ Der Assistent senkte betroffen den Kopf und vermied beschämt den Blickkontakt.   Zwei Stunden später, es war mittlerweile Abend geworden, lag das neue Ergebnis vor. Mit verschränkten Armen stand Leonard erneut vor den Bildschirmen. Sanft und gleichmäßig stieg der Dampf des Kaffees aus der Tasse vor ihm in den Raum auf.   „Sehen Sie, Zodiak, wie ich vermutet hatte! Es ist eine Vergiftung. Die Frage ist, was ist das Gift?“ Irgendwo in seinem Körper muss sich noch ein Fremdkörper befinden.“   „Aber wir haben ihn doch schon von Kopf bis Fuß durchleuchtet. Bis auf die Knochen haben wir jeden Zentimeter Gewebe untersucht.“   Leonard wiegelte von einem Fuß auf den anderen. Angestrengt schaute er den Assistenten mit zusammengekniffenen Augen an. Er nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse wieder sich vor sich ab. „Bis auf die Knochen…“, murmelte er.   „Ja, wir haben ein Komplettbild erstellt. Wir hätten alles finden müssen, was sie ihm irgendwo in den Körper gesetzt haben.“   „Irgendwo im Körper, bis auf die Knochen! Was ist wenn Sie ihm etwas in die Knochen … nein, unter die Knochen! Durchleuchten Sie seinen Schädel. Und drehen sie die Intensität ordentlich auf! Es könnte hinter der Augenhöhle oder im Gebiss sitzen!“   Alfredo Zodiak war sprachlos. Darauf wäre er im Leben nicht gekommen. Er wusste nicht wie ihm geschah, da griff Leonard schon zum Hörer und wies die Fachabteilungen an, die Geräte für die Untersuchungen vorzubereiten.   Nachdem Leonard seine Weisungen verteilt hatte, legte er den Hörer nicht zurück. Stattdessen wählte der die Nummer des Stützpunktes und fügte sogleich die Durchwahl zur Werkstatt hinzu.   „Elena, Leonard hier. Hast Du etwas für mich? Ich denke, Kevin hat ein weiteres Implantat. Es wäre langsam mal gut zu wissen, was die Dinger eigentlich tun.“  

Elena

  Sie war hoch konzentriert und sehr gespannt, was gleich passieren würde. Gerade, als sie die Messung starten wollte, schrillte plötzlich das Telefon neben ihr auf. Damit hatte sie in diesem Moment der Anspannung tatsächlich nicht gerechnet.   Leonard rief aus der Klinik an. Sie vertröstete ihn und erklärte ihm den Stand der Dinge. Sie verabredeten, dass sie sich melden würde, wenn sie die Tests durchgeführt hatte. Dann drückte sie den Startknopf.   Die Testvorrichtung gab ein leises Summen von sich. Einer nach dem anderen wurden die Pins des Chips angesteuert. Gleichzeitig untersuchte das Gerät die übrigen auf Reaktionen. Das Programm wiederholte diese Schritte mehrfach, dann gab es eine Fehlermeldung aus: Keine Reaktion detektiert! Vielleicht war die Spannung zu gering? Sie erhöhte die Spannung in kleinen Schritten und wiederholte den Prozess mehrmals. Als die Messvorrichtung bei 2000% der ursprünglichen Messspannung angelangt war, ging alles sehr schnell.   Der Chip leuchtete ein einziges Mal hell auf, dann stieg schon eine kleine Rauchfahne aus der Testvorrichtung auf. Die nächsten zwanzig Minuten würde Elena damit verbringen, die Reste des geschmolzenen Chips aus seiner Halterung zu kratzen und die Messvorrichtung neu zu kalibrieren. Aber das war eigenartig. Was sollte ein Computerchip berechnen, wenn er keine Eingabewerte empfing.   Während sie mit einem Lötkolben, einer Pinzette und einer Menge Wattestäbchen an der Station zugange war, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Wie konnte der Chip auch ein Eingangssignal empfangen, wen er doch in den Körper eingesetzt war? Sie beendete die Reinigungsarbeiten und lief noch einmal ins Lager. Aus einem alten Terminal extrahierte sie eine kleine NFC-Antenne und verband diese mit der Testvorrichtung. Sie hatte noch einen Chip, den sie vorsichtig in die neu präparierte Halterung einsetzte. Dann schob sie die Antenne nah an den Chip heran. Die Eingangsenergie stellte sie zunächst auf ein Minimum und startete die Vorrichtung erneut.   Diesmal war sie etwas erfolgreicher. Schnell fand sie heraus, dass die Pins alle auf unterschiedliche Frequenzen der von der Antenne empfangenen Strahlung reagierten. Diese Information war schon viel wert. Nun konnte sie gezielt Test-Programme entwerfen und diese dem Chip füttern. Je nach Ausgangssignal würde sie so vielleicht das Protokoll herausfinden können, das der Chip verwendete. Immerhin war es sehr unwahrscheinlich, dass sich Kultisten mitten im Dschungel ihr eigenes Hardwareprotokoll ausdachten.  

Barel & Harry

  Der Wachturm war unbesetzt gewesen und die Siedlung lag in völliger Dunkelheit vor ihnen. Es musste sich um einen Hinterhalt handeln. Langsam und vorsichtig arbeiteten sich Barel und Harry am Rande der Siedlung in Richtung des ersten Wohncontainers vor. Durch die dicken Gläser der Fenster konnten sie mit ihren Nachtsichtgeräten nicht hindurchsehen. Eine Lampe zu verwenden, würde den Gegnern nur ihre Position verraten.   Nach und nach überprüften sie die Gebäude. Aus keinem konnten Sie ein Geräusch wahrnehmen. Diese Totenstille machte sie nervös. Wohin hatte sich diese Bande zurückgezogen? Immer wieder drehte Harry sich um, stets in der Erwartung, in einen Waffenlauf zu blicken. Barel unterdessen, schien die Situation weniger anzuspannen. Als sie alle Gebäude, einschließlich des Brunnens und der Grube überprüft hatten, beschlossen sie, in das Haupthaus einzudringen. Dort war am meisten Platz, sodass sich die übrigen Mitglieder des Kultes sicherlich dort hätten verstecken können.   Barel trat an die äußere Schleusentür heran. Sie war ohne Energie, wahrscheinlich hatten sie von innen die Verbindung gekappt, sodass niemand die Schleuse von außen blockieren konnte. Wie jede Schleuse, hatte aber auch diese eine manuelle Betätigung, die Barel sogleich aktivierte. Er musste sich nicht sonderlich anstrengen, um die Tür aus Duraplast und Glas beiseite zu drücken. Harry kniete ein Stück hinter ihm, um ihm Feuerschutz zu geben.   Auch die zweite Tür ließ sich nur manuell öffnen. Dahinter erblickten Harry und Barel die grausame Realität. Der Wohncontainer war vollständig leer geräumt. Nur einige Möbelstücke, die mit dem Container selbst verbaut waren, waren zurückgelassen worden. Schnell war klar, hier würden sie keinen der übrigen Kultisten mehr finden.   Etwas zerknirscht stapften sie durch den aufgeweichten Boden zurück zu ihrem Fahrzeug und fuhren es auf den zentralen Platz der Siedlung. Mit den Scheinwerfern sahen sie Überreste von vom Regen verwaschenen Reifenspuren, die jeweils an die Container heranführten. Es war keine 20 Stunden her, dass hier noch mehrere Familien lebten. Irgendjemand musste gewusst haben, dass die SIN unterwegs war. Oder wurden die Vorbereitungen bereits getroffen, als sie gestern Nacht zum ersten Mal hier gewesen waren? Schwer zu sagen.   „Fahren wir zurück zum Stützpunkt?“, fragte Barel und brach damit das ohnehin hinfällige Schweigen.   „Nein, ich traue der Sache nicht.“ Wir überprüfen noch den Hof des Bauern. Vielleicht haben sie sich dorthin zurückgezogen. Dort stehen immerhin Geschütztürme.“   Barel wendete den Transporter, kurz darauf waren sie auf dem Weg zu dem Gehöft der Sconies.  

Leonard

  „Zange!“   „Zange.“   „Klammer!“   „Klammer.“   Leonard und Alfredo Zodiak standen um den Operationstisch herum, auf dem Kevin Sconie lag.   Nachdem sie mit höherer Energie Kevins Schädel gescannt hatten, fanden sie es. Ein weiteres Implantat, dass in den Oberkiefer des Jungen eingesetzt wurde. Nicht viel größer als die Fingerkuppe des kleinen Fingers. Es saß sehr versteckt hinter den Backenzähnen und war auf den 3D-Scans von einer Krone nur schwer zu unterscheiden.   Leonard stand gebeugt über dem Patienten. Mit der einen Hand hielt er ein Skalpell, in der anderen eine Zange. Zodiak bediente einen Sauger, mit dem er das Blut und den Speichel des Patienten kontinuierlich absaugte. Mit der anderen Hand reichte er Leonard die benötigten Werkzeuge.   Es war ein vergleichsweise einfacher Eingriff. Dennoch war Leonard so angespannt, dass sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn abzeichneten. Er wusste noch immer nicht, was diese Implantate bewirkten und wie der Patient darauf reagierte, wenn sie entnommen würden. Abgesehen davon hatte er schreckliche Dinge gehört. Angeblich soll vor langer Zeit einmal eine Terrorgruppe ihre Gefangenen mit Explosivimplantaten versehen haben, die über ein permanent empfangenes Signal inaktiv gehalten wurden. Nach der Befreiung entfernten sich die Geiseln von der Signalquelle, die Implantate wurden aktiv. Das tötete nicht nur die geretteten Geiseln, sondern verletzte auch die Helfer vor Ort. Leonard musste all seinen Mut zusammen nehmen und seine volle Konzentration aufbringen, um nicht an derartige Grausamkeiten denken zu müssen.   Nach 25 Minuten, hatte er das kleine schwarze kristalline Stück aus dem Kiefer des Jungen entfernt. Es sah wie eine kleinere Ausgabe der schon zuvor entfernen Chip-artigen Implantate aus. Zodiak schaute fragend zu Leonard hinüber, als er es sah.   „Solche Dinger wurden ihm eingesetzt? Wie grausam!“   „Ja, ich weiß. Wir tappen aber noch immer im Dunkeln, was sie eigentlich bewirken. Meine Kollegin geht dem gerade nach. Ich hoffe, sie macht Fortschritte. Im Moment bin ich aber nur froh, dass wir nicht explodiert sind.“   „Hm, was meinen Sie damit?“   „Ach, nichts. Vergessen Sie es. Nur so eine Redensart aus der Klinik, in der ich gelernt habe.“   Am 07.09.249 TZ, fünf Tage nach seiner letzten Operation, erwachte Kevin Sconie aus dem Koma. Als das letzte Implantat entfernt worden war, schlugen alle Behandlungsmethoden an. Er wurde künstlich ernährt und gelangte so wieder zu Kräften. Es würde sicherlich noch eine Weile dauern, bis er körperlich wieder hergestellt war. Schlimmer war allerdings der geistige Schaden, den er davon getragen hatte. Glücklicherweise konnte er sich nicht an alles erinnern. Aber zu erfahren, dass sein Vater umgebracht wurde, erschütterte ihn zutiefst. Umso bewundernswerter wurde es aufgenommen, als er den Wunsch äußerte, den Hof seines Vaters zu übernehmen und den Anbau von Maskut wieder aufzunehmen.  

Elena

  Ab dem Moment, in dem sie wusste, welches Protokoll der Chip benutzte, wurde alles ganz einfach. Sie installierte eine virtuelle Testumgebung mit den nötigen Schnittstellen und öffnete des Interface des Chips, welches dessen Code darstellte.   Es dauerte eine Weile, bis sie erkannte, um was es sich handelte. Die Befehle waren sehr unstrukturiert geschrieben und – natürlich – nicht kommentiert. Seit langer Zeit schon hatte sie etwas Derartiges nicht mehr gesehen. Die genaue Funktion dieser Schaltung blieb ihr weiterhin verborgen. Aber an der Komplexität und den Chip-internen Verknüpfungen, erkannte sie die sehr einfach KI-Struktur.   Die KI konnte nicht sonderlich viel. Soviel war klar. Die Kapazität entsprach der eines einfachen Taschenrechners. Warum sollte soetwas einem Menschen eingepflanzt werden? Das würde Sie definitiv mit den Anderen besprechen müssen.   Vielleicht fanden sie irgendwann noch einen Hinweis darauf, was es genau mit den KI-Implantaten auf sich hatte. Nun aber musste sie erst einmal Leonard eine Entwarnung geben. Kurzerhand wählte sie die Nummer der Klinik.  

Harry und Barel

  Die Fahrt zurück nach Hompton war von schweigen geprägt. Harry starrte angespannt aus dem Fenster, während der Regen gegen die Frontscheibe und das Dach des Transporters schlug. Auf dem Bauernhof der Sconies hatten sie ebenfalls nichts außergewöhnliches finden können. Das stetige Stakkato des nun wieder angeschwollenen Regens half ihm dabei, sich auf das für morgen Mittag angesetzte Verhör mit Carl von Canterburgh, dem vermeintlichen Anführer der Kultisten, vorzubereiten.   Hin und wieder erfasste eine Böe die Seitenfläche, sodass Barel alle Mühe hatte, das Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Der Effekt verstärkte sich, als sie den Wald verließen und auf die hügeligen Ebenen hinausfuhren. Immerhin konnte man hier wieder von einer Straße sprechen. In den frühen Morgenstunden erreichten sie endlich die Stadt und den wohlverdienten Schlaf.  

Verhör-Protokoll

03.09.249 TZ - 11:45 Uhr Verhörraum der HoSAG in Hompton   Harry: Wer sind Sie?   Carl von Canterburgh: Das wissen sie doch längst.   H Stimmt.   C Warum fragen sie dann trotzdem?   H Für's Protokoll. Also, wer sind sie?   C *genervt* Carl von Canterburgh   H Was haben Sie da draußen im Dschungel gemacht?   C Was soll ich da gemacht haben? Ich wohne dort mit meiner Familie und ein paar anderen Mitgliedern.   H Sie wissen ganz genau, was ich meine.   C Und Sie sind nicht sehr gesprächig.   H Was war mit dem Jungen?   C Welcher Junge? Jamie? Johns Sohn? Der war letzte Woche krank. Nun geht es ihm besser. Danke der Nachfrage.   H *lächelt zu freundlich* Wir können das abkürzen. Also tun Sie uns beiden einen Gefallen und reden Sie. Denn ich kann auch ganz anders.   C Wie wär‘s wenn Sie einfach mal präzise Fragen stellen? Aber das fällt Ihnen vermutlich schwer, oder?   H Ich meine den Sconie Jungen.   C Sehen Sie, geht doch. Warum artikulieren Sie sich nicht gleich korrekt? Der Sconie Junge, Kevin. Haben Sie ihn gefunden?   H Ja.   C Und sie erwarten jetzt, dass ich Ihnen alles erzähle, damit Sie Ihren Bericht schön voll machen können und der Fall zu den Akten kann. Richtig?   H So sieht es aus.   C Wo fangen wir an?   H Ich weiß nicht, suchen Sie sich etwas aus.   C Die Frage war eher rhetorisch und an mich selbst gerichtet. Kevin Sconie war ein Spielstein in einem größeren Spiel. Er war ein Teil eines größeren Ganzen. Im Übrigen sind wir das alle.   H Wie meinen Sie das?   C Sie waren doch damals dabei, wenn ich mich recht erinnere. Es gibt höhere Wesen als wir. Die Pandimensionalen, im Volksmund auch Dämonen genannt. Im Vergleich zu ihnen, sind wir unbedeutend. Nur ein Staubkorn im Universum.   H Und was hat Kevin Sconie damit zu tun?   C Kevin Sconie hatte einfach Pech. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Auf dem Weg zu unserem Ziel müssen nun einmal Opfer gebracht werden. Kevin Sconie war eines von ihnen.   H Er lebt noch.   C Oh! *versucht seine Überraschung in den Griff zu bekommen*. Na, das ist doch schön, nicht wahr?   H Wer ist "wir"?   C Wir sind Skiconisten. Die Kirche des Skicon, einem der Pandimensionalen.   H Und wer ist dieser Skicon?   C Skicon ist, vereinfacht ausgedrückt, die Unordnung des Universums. Mehr oder weniger.   H Das Universum sieht meiner Meinung nach ziemlich ordentlich aus.   C In Ihrer beschränkten 3-dimensionalen Wahrnehmung vielleicht.   H Woher wissen Sie von Skicon?   C Skicon ist ein universelles Prinzip. Entweder, Sie verstehen es oder nicht.   H Und wer hat es Ihnen erklärt?   C Haben Sie jemals Maskut probiert?   H ...   C Das sollten Sie einmal versuchen. Es entspannt unheimlich. Darüber hinaus kann es Ihnen die Wahrheit offenbaren. Auch, wie die Welt funktioniert.   H Was hatte Kevin Sconie mit all dem zu tun?   C Kevin war zunächst nur eine Geisel. Ein Druckmittel für Jonathan, uns das Maskut zu verkaufen.   H Sie wollten es also kaufen, nicht stehlen?   C Ganz recht! Wir sind ja keine Barbaren!   H Aha. Und weil Jonathan Sconie Ihnen aber nichts verkaufen wollte, haben Sie Ihn umgebracht.   C Er wollte, nur wurden seine Preise unverschämt. Eigentlich wollten wir ihn nur etwas erschrecken. Kevin ging es bei uns gut. Aber irgendetwas lief anscheinend mächtig schief. Als John und die anderen von der letzten Besorgung zurückkehrten, waren sie kreidebleich. Was genau geschehen ist, weiß ich bis heute nicht. Nur, dass Jonathan Sconie an diesem Tag starb.   H Sie waren also nicht dabei?   C Nein.   H Was haben Sie dann mit Kevin Sconie gemacht?   C Wie ich bereits sagte, er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich telefonierte viel herum und fragte mich, was ich nun tun sollte. Von einem persönlichen Freund, der uns regelmäßig besuchte, erhielt ich die Anregung, an einer Studie teil zu nehmen. Es ging irgendwie um Implantate und irgendetwas mit Computern. Er sagte, jetzt wo Kevins Vater tot sei, könne der Junge ohnehin nicht alleine bleiben. Außerdem würde ihn niemand vermissen. Wir verdanken diesem Freund sehr viel, also willigte ich ein.   H Wer ist dieser Freund?   C Das werde ich Ihnen nicht sagen. Vermutlich würde es ihn in Gefahr bringen. Und bevor sie auf Ideen kommen... Ich habe ihn bereits vor der SIN gewarnt.   H Wann das?   C Als Sie ihren kleinen Hubschrauber über unsere Siedlung fliegen ließen. Sehr unauffällig.   H Es war eine Drohne.   C Meinetwegen. Wie auch immer. Mir war sofort klar, dass so ein Gerät keinem 08/15 Banditen gehören würde. Also warnte ich unsere Gruppe und meinen Freund.   H Nocheinmal zurück zu Kevin. Er hatte mehrere Implantate in seinem Körper. Was hat es damit auf sich?   C Ah, ja. Wie ich bereits sagte, irgendetwas mit Computern. Ich nehme an, dass das der Computerbezug in der Studie war. Aber so genau kenne ich mich damit nicht aus.   H In Ihrer Siedlung war auch eine Grube...   C Ich dachte schon, Sie fragen niemals danach. Aber wenn Sie sie analysieren, werden Sie feststellen, dass dort nur Reste von Jagdgut drin sind. Wir haben dort ausschließlich die auf dem Platz gegrillten Tiere, beziehungsweise deren Reste entsorgt.   H Dort waren auch menschliche Überreste drin.   C Tatsächlich? Oh. Nun, hm, ich denke, dass diese auf das Konto meines Freundes gehen. Der hat dort auch seine Reste abgeladen.   H Daraus schließe ich, dass Ihr Freund ebenfalls hier in der Umgebung lebt. Kein Mensch würde sonst seinen Müll durch das System schiffen, nur um ihn bei Ihnen in eine Grube zu werfen.   C ...   H Dann stimmt es also.   C Ich werde mich dazu nicht weiter äußern.   H Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Sie geben mir etwas, mit dem ich arbeiten kann, und ich schaue, was ich bei dem Richter erreichen werde.   C Ich habe Ihnen bereits mehr gegeben, als ich ursprünglich vorhatte. Ich bin durchaus bereit, mein Schicksal zu akzeptieren. Wir sind...   H ... alle nur ein Teil eines großen Ganzen. Ich weiß.   Im Nachgang an das Gespräch konnte bestätigt werden, dass in der Grube überwiegend Gewebe heimischer Tiere vorhanden war. Die Aussagen der übrigen Gefangenen zeichneten ein sehr ähnliches Bild, dass sich nur durch unwesentliche Details von dem oben Beschriebenen unterschied. Sie bestätigten auch, dass Carl von Canterburgh nicht direkt an dem Mord von Jonathan Sconie beteiligt war. Canterburgh wurde vor dem Antritt seiner Haftstrafe von Elena auf Implantate untersucht. Eines, das in seinen Nacken eingesetzt war, zeigte eine heftige Reaktion auf die Sensorik der Untersuchungsgeräte. Infolge dessen, aktivierte sich das Implantat und ein Teil des Gewebes in der Wirbelsäule kristallisierte. Carl von Canterburgh verstarb im selben Moment.   In einem späteren Verfahren wurden die übrigen gefangenen Männer zu einer mehrjährigen Haftstrafe nach dem Sonderkolonisierungsrecht verurteilt.   Die Identität, der Verbleib und die Motive des "Freundes" blieben ein Rätsel. Auch der Aufenthaltsort der übrigen Siedler ist unbekannt.
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