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Fri 18th Oct 2024 08:36

Extra - nach Session 11

by Wiatt

Wiatt starrte auf seine Hände. Mittlerweile war er nicht mehr von Kopf bis Fuß voll von seinem eigenen Blut. Seine Kleidung sah noch immer abscheulich verfärbt aus, aber das war ein Problem, für das er gerade keinen Nerv hatte und das sich auf später verschieben ließ. Das Gröbste war erledigt.
Nachdenklich fuhr er mit dem Daumen über die Linien seiner Handinnenfläche. Unermüdlich grub er seinen Nagel gegen die dünne Haut. Es schien nicht ganz sauber zu werden. Irgendwo war doch immer noch ein kleiner Blutrest. Es ging einfach nicht weg.
Dabei war es doch nicht das erste Mal, dass er in Blut baden gegangen war. Zwar nie in diesem Umfang. Aber einmal bei einem Monster die Arterie durchtrennt, doof gestanden und schon hatte sich ein Schwall zähflüssiges, widerliches Monsterblut über ihn ergossen. Aber das hier war etwas anderes. Vielleicht weil es seines war. Auch das war ihm nicht neu… eigentlich. Und war es eigentlich sein eigenes Blut? So wirklich? Am Ende war es doch das des Wolfs … der Wolfsform…des …was auch immer gewesen, was ihn noch einmal gebadet hatte, bevor er wie ein jämmerlicher Haufen auf dem Boden gekauert hatte.
 
Er nagte an seiner Unterlippe bis er Blut schmeckte und hörte auch dann nicht auf. Durch seinen Kopf hämmerte die Erinnerung, wie sich sein Körper verschoben hatte. Wie er kaum mitbekommen hatte, dass Grauer ihn am Graben geschnappt und weggezogen hatte. Als hätte er durch mehrere dünne Stofflagen geschaut, während jemand-... etwas seine Knochen gebrochen hatte. Wüsste er es nicht besser, hätte er zu dem Zeitpunkt auch gedacht, dass Grauer ihn vielleicht nur falsch erwischt hatte, dass der Drake gerade seine Knochen zu Staub zermahlte.
Und nicht, dass irgendetwas in ihm rumorte, das seine Organe umschob und seine gesamte Gestalt änderte. Wiatt erschauerte, als der Gedanke an den stechenden Schmerz noch einmal durch seinen Körper jagte, seine Schmerzrezeptoren von der Erinnerung alleine panisch aufschreien ließ. Für einen Moment hatte er das Gefühl blind vor Schmerz zu sein, die Hand in seinem Blickfeld verschwamm, ehe sein Hirn sich wieder zusammenriss und daran erinnerte, dass alles gut war.
 
Alles war gut. War es das wirklich?! War es das?!
Eigentlich nicht. Auf gar keinen Fall! Er war am Arsch. Sein Leben war praktisch vorbei. Nicht nur, dass er sich in ein Monster verwandelte - und er musste sich nicht weit aus dem Fenster lehnen, um zu wissen, dass das keine einmalige Sache sein würde -, jetzt war er auch noch von der Gutherzigkeit der anderen abhängig. Dass keiner von denen irgendwo etwas erzählte, was die Gilde hören würde.
Ruhelos zappelte Wiatt mit den Beinen. In Ordnung, er war auf andere angewiesen. Was furchtbar war. Richtig ätzend. Er hasste es. Sowohl das Gefühl als auch den Umstand insgesamt. Es wäre etwas anderes, wäre er abhängig von Minette oder Ledin … selbst bei den Winzlingen! Menschen, denen er mit allem vertraute, was Wiatt aufbringen konnte, aber nein, er war abhängig von der Hexe, Tiz und Segu. Nicht einen davon kannte er besonders gut, lange, und umgekehrt konnte er froh sein, wenn sie ihn tolerierten, weil sie zusammen losgeschickt worden waren. Da war Wiatt realistisch. Er machte sich nichts vor. Aber umso schlechter war das für ihn.
Wenn er Glück hatte, war Tiz wirklich kein großes Problem und die kleinen Versuche nett zu sein - Wiatt hatte nicht übersehen, wenn sie jedes Mal angeboten hatte, ein offenes Ohr zu haben; er hatte sich nur immer dazu entschieden sie zu ignorieren - waren ehrlich gemeint. Bei der Hexe … bei der hatte er so richtig verschissen, es würde zu ihr passen, wenn sie ihn noch irgendwie erpressen würde. Und wenn sie wirklich am Hof von Colvera bleiben wollte … vielleicht konnte man sich so einen Stand am Hof erkaufen… wer wusste das schon. Auch keine sichere Sache. Und Segu war eigentlich das größte Problem.
Fest presste er die Kiefer aufeinander. Seine neu gewachsenen Zähne schmerzen dabei. Die frischen Nerven ziepten durch den gesamten Kiefer und der kurze Schmerz fraß sich bis weit in seinen Schädel hinein.
 
Er wurde wirklich von einem verschissenen, kleinen Kobold erpresst. Wiatt hatte sich nicht vorgemacht, dass Segu einfach einknicken würde. Und eigentlich hätte Wiatt ihn auch weitermachen lassen, wenn er anscheinend nur ein paar Mal Tiz verpfiffen hatte? Schien keine Konsequenzen gehabt zu haben. Da es ihn nun aber selbst betraf … war eine andere Sache.
Und was war das denn für eine selbstgerechte Forderung gewesen. Bis er keine Bedrohung für die Gruppe oder Colvera und Moneda war. Hatte Segu sich da selbst gehört? Und weiter als zwei Sätze gedacht? Wie hatte er sich das denn vorgestellt? Sollte Wiatt sich in den Wald stellen und munter versuchen nicht nach jemandem zu beißen, der ihm zu nahe kam, wenn er sich in ein verschissenes Monster verwandelt hatte?!
Bei Vollmond jemandem aus dem Weg zu gehen, nicht in der Stadt zu sein, wäre einfach. Das wäre machbar. Darum konnte Wiatt sein Leben aufbauen, aber in der Rechnung fehlte ein kleines Detail. Es war gerade auch kein Vollmond! Bei keinem der vergangenen Vollmonde hatte er Probleme gehabt bis zum letzten Auftrag. Und jetzt waren sie gerade einmal zur Hälfte beim Vollmond und trotzdem hatte er sich am helllichten Tag verwandelt! Wie zur verschissenen Hölle sollte Wiatt das also machen? Sich hinsetzen, einmal tief meditieren und sich überlegen, dass er das wohl lieber nicht mehr machen sollte?! DUH! Offensichtlich nicht. Wiatt wollte das nicht!
Er wollte nichts davon! Nicht die Verwandlung, nicht das Monster, nicht die Probleme danach!
 
Vor allem eigentlich nicht die Probleme danach! Er wollte nicht Zeit darauf verschwenden müssen darüber nachzudenken, wie er vor Segu kriechen konnte, damit er ihn nicht ans Messer lieferte. Er wollte nicht darüber nachdenken müssen, dass er Angst vor der Gilde haben könnte. Dass er von nichts von dem hier mit Minette sprechen konnte. Er wollte nicht den hämmernden Gedanken immer und immer wieder hören, dass er es ihr nicht verdenken würde, wenn sie ihn umbringen würde, weil sie damit doch recht hätte. Er wollte nicht daran denken, dass er Ledin nicht um Rat fragen konnte. Dass er Angst haben könnte, sobald er wieder nach Hause kommen würde.
Wo er sonst immer paranoid und übervorsichtig fremden Leuten außerhalb der Gilde und Colvera begegnet war, hatte er sich dort aber immer sicher gefühlt. Bis jetzt. Das war wohl vorbei. Und das nur weil da irgendetwas in ihm saß. Wiatt konnte es spüren. Irgendwo tief, weit hinten in seinem Kopf. Da war ein dunkler Fleck, der noch immer leicht nach vorne drückte und sich fremdartig anfühlte. Woher auch immer das Ding kam. Nichts davon machte Sinn. Nicht dass es sich vielleicht mehr bemerkbar machte, seit er das Hunter’s Bane durchlaufen war. So etwas passierte da nicht. Und er war noch nie einem Monster begegnet, das eine Verwandlung auslösen konnte. Kein Werwolf, kein Deep Scion, nichts. Witchstalkern war er oft begegnet, aber die infizierten nicht durch Bisse. Die waren nur lästig. Und selbst wenn er gebissen worden wäre, wäre ihm das aufgefallen. Solche Bisse heilten doch nicht einfach und blieben unauffällig! Er hätte es bemerkt, hätte es da etwas gegeben! Und auch dann entschied eine Infektion nicht einfach die Füße still zu halten, um dann willkürlich auszubrechen. So funktionierten Monsterinfektionen nicht!
 
Mit einem frustrierten Knurren presste Wiatt die Augen zusammen und vergrub sein Gesicht hinter seinen eigenen Händen. Er konnte leicht die Überreste des Bluts an seinen Händen riechen. Er spürte ein Rucken weit hinten in seinem Kopf.
Noch fester presste er die Augen zusammen, krümmte sich zusammen. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl gegen Tränen ankämpfen zu müssen.
 
Er wollte das alles doch gar nicht…