Todeszehrer

"Nur dieses Ding hält ihn am Leben.", flüsterte Arthur zu Reyna, die angespannt neben ihm stand. Ihre Feenflügel hatte sie im Angesicht der manifestierten Kreatur relfexartig offenbart, wodurch ihr weiches Licht den Raum in einen Blauton tauchte. Draußen rappelten die schweren Läden vor den Fenstern im Wind. Das gesamte Gebäude ächzte, gleichermaßen durch die Kraft des Windes als auch durch die angespannte Stimmung.

Die Kreatur richtete sich ein wenig auf. Das Ding konnte denken, auf einem Niveau, auf welchem es verstand, dass Arthur und Reyna auf es aufmerksam waren. Abseits dieser kurzen Spannung reagierte es jedoch nicht weiter. Lediglich seinen gewaltigen fliegenartigen Schädel hielt es fest auf Arthur gerichtet. Der lange Saugrüssel, verankert im Mund des schlafenden Mannes, pumpte stetig mehr Material aus seinem Leib, welcher gluckernd im Magen des Wesens landete. Selbst Arthur, mit all seiner Erfahrung im Umgang mit Geistern, hatte nie etwas derartiges gesehen.

Das Ding war erst jetzt erschienen, nachdem die Nacht angebrochen war, obwohl er bereits zuvor das gesamte Dorf mit seinen Geistfäden durchforstet hatte. Dass es ihm einfach entkommen sein könnte, war unwahrscheinlich. Selbst die feinen Fragmente sterbender Ameisen fand er in seiner aktuellen Form mühelos. Ein Geistwesen dieser Größe hätte er entdecken müssen. Insbesondere so fett wie das Ding war. Wie lange hatte es bereits gefressen?

E-E-E-E-lena, die Worte aus dem Maul, welches sich plötzlich oberhalb des Rüssels öffnete, ließen Reyna und Arthur derart zusammenzucken, dass beide beinahe geschrien hätten, geht es Elena g-g-gut?

Todeszehrer sind außerordentlich rare und mächtige Vertreter der Geistwesen. Sie verzehren körperliche Leiden und wandeln diese in geistige Energie um, allerdings hat diese Behandlung einen schweren Preis.

Entstehung

by CSor96 using Midjourney
Genau wie alle Geistwesen werden auch Todeszehrer aus abrupten und willkürlichen Verdichtungen von Geistesenergie auf der Geisterwelt geboren. Hierbei sammeln sich sowohl große Mengen an dieser Energie als auch residuale Abdrücke von Aura und Fragmente der emotionalen Spuren der Verstorbenen und Lebenden. Im Fall der Todeszehrer ist ungeklärt, welche Kombination genau für ihre Entstehung vonnöten ist.

Einmal geboren entsteht ein Todeszehrer in Gestalt einer faustgroßen Fliege, die im typischen Stil der Geisterwelt eine blaue bis türkise Färbung besitzt. Innerhalb der Geisterwelt wachsen die Todeszehrer nicht weiter an, sobald sie jedoch genug Geistesenergie absorbiert haben, können sie durch schwache Stellen im Geistschleier in die irdische Welt wechseln und sich an Lebewesen heften.

Beute

Todeszehrer haben, ähnlich wie die meisten Geistwesen, eine klare Beute. Üblicherweise verfügt diese jedoch über ganz bestimmte geistige Qualitäten, bei den Todeszehrern allerdings richtet sich ihr Geschmack ausschließlich nach einem körperlichen Merkmal. Sie wählen als Beute ausschließlich jene, die von unheilbaren Krankheiten geplagt sind oder jenen, die vom Zeitpunkt ihres natürlichen Todes nur wenige Tage entfernt sind. Die faustgroßen Fliegen haften sich in ihrer Jungform auf den Schädel ihrer Beute, wobei sie aufgrund der Unsichtbarkeit als Geist nicht bemerkt werden.

Ernährung

Hat sich ein Todeszehrer erst einmal an seine Beute geheftet, kann diese dies nur anhand eines leichten Drucks auf dem Kopf oder durch energetische Wahrnehmung bemerken. Unmittelbar nach der Haftung sticht das Geistwesen mit seinem Rüssel durch die energetischen Strukturen der Schädeldecke seines Opfers und beginnt damit eine parasitäre Verbindung mit dem Ziel einzugehen. Da Todeszehrer als Geistwesen nahezu ausschließlich aus Energie bestehen und nur wenig physische Materie in sich tragen, teilen sie diese Fähigkeit mit ihrer sterbenden Beute.

Indem sie das Verhältnis zwischen Energie und Materie im Körper des Ziels ändern, durch ihre neue Verbindung als ein einziges Wesen, sind sie in der Lage den Sterbeprozess des Körpers über mehrere Monate zu verlängern. In dieser Zeit kann man davon sprechen, dass sie den Zerfall oder die Krankheit des Körpers fressen. Hierbei konsumieren sie nicht nur diesen Zerfall (und verlängern hierdurch das Leben ihrer Beute), mit jedem Zug, den sie durch ihren Rüssel nehmen, absorbieren sie auch Teile des Bewusstseins und des Geistes ihres Ziels, was das Sterben zwar verlangsamt, aber das körperliche Leiden gegen einen Schwund geistiger Kapazitäten austauscht.

Fähigkeiten

Todeszehrer erzeugen beim Konsum von Zerfall und Krankheit etwas das als Minusenergie bezeichnet wird. Im Grunde speichern sie den Akt des Sterbens selbst und wachsen durch dessen Konsum an. Wie bei anderen Geistwesen übrig erringen sie hierdurch nach und nach erweiterte Kontrolle über Geistesenergie. Somit erlangen sie die Fähigkeit Telepathie und Telekinese zu wirken. Ebenso können sie den Willen von anderen Wesen in der Umgebung lenken und auch deren Erinnerungen und Erfahrungen stehlen, ändern oder löschen.

Ich hatte nie etwas derartiges gesehen. Ich kannte zwar Geister und andere Wesen, die sich eine feste Beute gesucht hatten und scheinbar an ihrem Elend derart zehrten, dass sie sich bei Gefahr versteckten und wiederkehrten, sobald die Luft rein war. Ebenso wie jene Geister, welche sich frei zwischen der Geisterwelt und dem irdischen Reich bewegten, um somit unentdeckt zu bleiben. Diese Kreatur war allerdings die erste, welcher es möglich war, sich im Bewusstsein ihrer Beute selbst zu verbergen. Gewissermaßen als Teil des Opfers zu existieren, selbst vor den Augen erfahrener Orakel verborgen.
- Arthur Albrath
Am unheimlichsten ist jedoch ihre Fähigkeit körperliche Attribute ihrer Opfer gemeinsam mit ihrem Geist zu absorbieren. Im Grunde nehmen sie alles auf, was an ihrem Opfer hätte sterben oder zerfallen sollen und lassen es auf sich selbst erscheinen. Mit der Zeit können sie auf diesem Weg sogar eine vollkommene physische Form erlangen und es ihnen gestatten bewusst zwischen einer energetischen und physischen Gestalt zu wechseln. Neben diesen Eigenschaften können sie hierdurch auch die physischen Eigenschaften ihrer Opfer übernehmen, darunter ihre Gesichter, ihre Stimme oder gar ihre Tymidian. Beginnt ein Todeszehrer die letzten Fragmente der Beute zu verschlingen, beginnt er zwangsläufig auch den Verstand seines Opfers zu seinem eigenen zu machen.

Schließlich beginnt die Kreatur zu sprechen, sich nach verlorenen Liebsten zu sehnen, den Träumen und Wünschen seiner Beute nachzurennen. In den fragilen Stunden, bevor der Todeszehrer seine Beute vollkommen verzehrt, verkümmert diese zu einer ausmergelten Gestalt, welche austrocknet und zusammenschrumpft, bis sie schließlich kaum größer als eine Hand ist, die sich sanft in die Brust des Zehrers schmiegt.

Aussehen

Was zunächst als das riesige Abbild einer Fliege beginnt, wandelt sich mit seiner Beute immer mehr zu einem Mischwesen aus der ursprünglichen Fliege und der nach und nach verzehrten Beute. Es nimmt hierbei körperliche Merkmale wie Narben, Haare und deren Färbung und sogar die Augen an. Mit der Zeit erinnert die Kreatur nur noch an ein abartig entstelltes Wesen, welches getilgt werden sollte. Schrecklicher wird seine Gestalt nur, wenn das Wesen nicht erst eine Beute, sondern womöglich hunderte verschlungen hat. Ein Konglomerat aus unmöglich verstrickten und ineinander verwachsenen Körperteilen und nach außen gekehrten Organen.

Im Verlauf dieser Entwicklung nehmen Todeszehrer auch immens an Größe an. Ihr Körper erweitert sich für jede absorbierte Kreatur etwa um die Hälfte des Volumens des ursprünglichen Körpers. Der größte je gefundene Todeszehrer hatte die Maße eines mehrstöckigen Hauses, verschlang aufgrund seines Appetits einen Menschen am Tag und hatte derart viel Geistesenergie absorbiert, dass er umliegende Dörfer auf über drei Kilometer Distanz terrorisieren und die Einwohner zwingen konnte, zu ihm zu kommen.

Elena muss zu mir kommen. Sie muss schrecklich einsam sein ohne ihren Großvater. Schickt sie zu mir. Ich will meine kleine Elena bei mir haben!


Cover image: by CSor96 using Midjourney

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