19. Tag im Weihemond 835

Woodmill

by Yarésil Daena Aurësca

Nach stürmischer Fahrt erreichen wir den Anleger von Woodmill, einige Meilen von der Stadt entfernt. Den Rest des Weges müssen wir an Land zurücklegen, da der Slice nicht weiter schiffbar ist. Kapitän Corck wirkt nicht gerade traurig, sich von uns verabschieden zu müssen - aber das kann ich ihm nicht verübeln. Ich selber würde auch viel darum geben, mich so schnell wie ich kann so weit wie möglich von Woodmill zu entfernen.
 
Nach einer teuren Fahrt in einer rustikalen Kutsche mit einem Kutscher, der meinen Gefährten ohne weiteres sämtliche sogenannte Vorurteile meinerseits gegenüber den Bewohnern Woodmills bestätigt, erreichen wir Brandtstadt. Dort hat sich nicht viel getan, die Halsabschneider verkaufen weiterhin Bürgermarken, die Wachen pöbeln weiter herum und so wie es aussieht gab es seit meinem letzten Besuch bereits weitere Brände. Der feuchte Gestank des alten Rauches kann sich unmöglich so lange in der Luft gehalten haben... oder?
 
Nach einigem Hin und Her öffnet uns Sturmius' Geldbörse das Tor zur "Stadt": Dicht gedrängt stehen die Häuser aus totem Holz und schmutzigem Lehm, manche mehrere Stockwerke hoch und vornübergebeugt, als könnten sie - wollten sie - ihre eigene Last nicht länger tragen, voller stinkender Menschen, die es entweder aufgegeben haben, einen Sinn in ihrem Leben zu finden jenseits ihrer bloßen Existienz, oder aktiv dabei mitarbeiten, den Rest von ihnen zusammenzupferchen und auszupressen. Ich hasse diesen Ort. Ich habe ihn gehasst, als ich zum ersten Mal hier ankam, vor über zwanzig Jahren, habe gelernt diesen Hass zu hegen und zu pflegen und nun keine Mühe damit, ihn wieder hervorzuholen, wie einen liebgewonnenen Talisman aus alter Zeit.
 
Die Bewohner hier machen es mir leicht: Die leeren Gesichter, die teigige Haut, aufgedunsene Leiber und Egos wohin man blickt. Kinder, noch ahnungslos zu was sie in diesem Loch heranwachsen werden, Greise, die blöde vor sich hinstarren oder sich stupiden, eintönigen, immergleichen Spielen hingeben - und die gebrochenen Seelen aller Bewohner dieser Vorhölle, die sich nicht mal mehr an die Lust ihrer Gier erinnern, die sie oder ihre Vorfahren hierher getrieben hat.
Es fällt mir schwer, meinen Ekel zu verbergen und ich hoffe Yessa weiß, wie teuer ich ihm seinen Gefallen zurückzahle.
 
Wir quartieren uns im Gasthaus Zum Mühlenflügel ein, wo sich meine Gefährten zunächst ausruhen und sammeln, während ich versuche herauszufinden, ob Tibert Woodcarver tatsächlich noch im Gefängnis der Stadt ist. Ein Besuch in Tarnung bei meinem alten Kontakt Vorquas bestätigt genau das - und mehr: Woodcarver, ganz Produkt seiner Umgebung, hat sich hier in der Stadt etliche Feinde gemacht, die er mit irgendeiner Betrügerei über den Tisch gezogen hat. Das macht es nicht leicht, ihn einfach freizukaufen, selbst mit Sturmius' Mitteln nicht. Dennoch haben wir Glück im Unglück: Seine Exekution ist zwar bereits geplant, uns bleiben aber noch einige Tage Zeit, ihn zu befreien.
 
Wir beraten, was zu tun sei und kommen zu dem Schluss, dass es das beste wäre, zunächst mehr herauszufinden. Wie die Stimmung in der Stadt ist, wie es im Gefängnis aussieht et cetera.
Dazu ziehen wir zu einem abendlichen Umtrunk in den Strammen Stammhalter, wo es nicht lange dauert, bis uns der Wirt Coin für eine unverschämte Geldsumme an einen korrupten Wachsoldaten verweist. Wir geben vor, uns für eine Stunde "intensiv mit Woodcarver unterhalten" zu wollen, was dieser Soldat gegen eine weitere unverschämte Summe an Goldstücken auch einrichten will. Das eröffnet mehrere Möglichkeiten - unter anderem den einer Aufklärungsmission mit der Option, ihn direkt zu befreien, auch wenn das risikoreich ist:
 
Mein Plan ist es also, mich dort umzusehen, zu ergründen, ob und welche magischen Sicherungen vorhanden sind, und sie gegebenenfalls auszuschalten.
Der erweiterte Plan sieht vor, Dimash mit einem Illusionszauber Woodcarvers Gestalt zu geben und Woodcarver unsichtbar aus dem Gefängnis zu begleiten, während Dimash sich danach seinerseits mittels Magie selbst befreit. Ich äußere meine Zweifel und stelle klar, dass es für den Fall, dass wir auffliegen ein Blutbad geben wird - ich habe nicht vor mich ein weiteres Mal von den Schergen dieser Stadt Mal festsetzen zu lassen. Dazu muss es natürlich nicht kommen, ich habe volles Vertrauen in Sturmius' Fähigkeiten, sich aus jeder noch so prekären Situation herauszureden, zumal er nominell immer noch Gesandter der Kaiserin ist. Im Zweifel hilft mir das nicht: Irgend einen Sündenbock braucht man in der Stadt ja - und wenn gerade ein Spitzohr greifbar ist, umso besser.

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  1. Riverside Conclave
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  3. Gasthaus 7 Tall Trees, Gut Woodcarver
    15. Tag im Weihemond 835
  4. Gasthaus 7 Tall Trees, Gut Woodcarver
    15. Tag im Weihemond 835, Abend
  5. Riverside, Gut Barningstat
    16. Tag im Weihemond 835
  6. Auf dem Slice
    18. Tag im Weihemond 835
  7. Woodmill
    19. Tag im Weihemond 835
  8. Kinderzimmer, Tham
    22. Tag des Weihemoinds 835, früher Nachmittag
  9. Zimmer 5, Gasthaus Zum Sumpfgras, City of Barter
    25. Tag im Weihemond 835