Die Wiederkehr des Nebels

Der Moment endete so schnell, wie er begonnen hatte. In einem Moment hörte Killian noch den wilden, kampfeslustigen Schrei von den Dächern, im nächsten Moment brandete ein heller Blitz über ihn hinweg. Sein Blick wanderte empor und sah die Gestalt über sich. Der Mann musste etwa 30 Jahre alt sein. In seiner Hand hielt er was aussah wie eine eigentümliche Keule, die zu pulsieren schien und deren Material an menschliches Fleisch erinnerte. Er wirkte ausgemergelt und zerfetzte Kleidung hing an ihm herab. Mehr konnte sich der Junge von der Gestalt nicht einprägen, bevor das Licht ihn traf.

In einem Augenblick war die Gestalt des Mannes noch klar zu erkennen, dann schien er beinahe transparent zu werden, als bestünde er aus Glas. Killian blinzelte und verpasste hierdurch die ersten Rissen, welche sich entlang des gläsernen Körpers öffneten. Was er noch erkennen konnte, waren die ersten Splitter, welche von seinen Fersen absprangen und schließlich die Explosion, welche seinen gesamten Körper in Fetzen riss. Was letztlich auf die Massen herabrieselte war nicht mehr als ein feiner gläserner Regen.

Ungläubig starrte Killian von dem Schauspiel zurück zur Bühne, wo die Melodie des Chors verstummt war. Die gut 100 Mitglieder hielten ihre Instrumente weiterhin bereit, warteten jedoch still ab. Lediglich die fünf Mitglieder, die am nächsten an der Mahia standen, hatten sich in Bewegung gesetzt. Vier von ihnen hatten sich dicht um sie gedrängt, ihre Schwerter gezogen und einen Schild um sie herum aufgebaut. Einer von ihnen, von der Statur her wohl ein hochgewachsener Mann stand still da. Seine linke Hand war frei nach vorne ausgestreckt und offenbarte einen roten Riss, welcher die Haut seiner Handinfläche durchzog.

Auf Uras erzählen sich gewisse Kreise von einer finsteren Bedrohung, einem Nebel, der am Ende der Zeit wartet und schließlich das Ende der gesamten Welt einleiten wird.

Inhaltsverzeichnis

Genethoth

Glaubt man den Erzählungen und dem religiösen Fanatismus der Nebelhäupter, so begann die Historie von Terria nicht mit der Ame, welche die Welt aus dem Licht ihrer Augen gebar, sondern mit dem Verrat der Ame selbst. Die Nebelhäupter beten ein Wesen namens Genethoth an, der ursprüngliche Nebel. Dieses Wesen existierte lange vor der Geburt von Terria und bildete die ursprüngliche Entropie des Kosmos.

Alles was heute existiert, existierte bereits in dieser ursprünglichen Form von Genethoth, jedoch in reinem Chaos. In dieser Gestalt gab es keine Grenzen zwischen den einzelnen Bestandteilen, der Schmerz des Einzelnen war der Schmerz der ganzen Masse, das Glück des Einzelnen war das Glück der ganzen Masse. Innerhalb von Genethoth fügten sich die einzelnen Bestandteile kein Leid zu, da sie diesen teilen mussten.

Einer seiner Teile, der später die Ame werden sollte, verlangte jedoch ein eigenes Glück zu besitzen, ein Glück, welches sie nicht teilen müsste. Sie riss sich von Genethoth los und formte sein Chaos in die heute bekannte Welt. Sie errichtete die Grenzen zwischen den Indivduen, den Hass zwischen den Völkern, die Unterschiede zwischen den Klassen, die Machtdifferenzen zwischen den Befähigten und den gewöhnlichen Wesen.

Das Ende der Ame

by CSor96 using Midjourney
Die Nebelhäupter verbreiten die Kunde, vom Elend, welches die Ame über die Welt brachte als sie sich selbst über die Gesamtheit stellte. Ihren Weissagungen zufolge kann ihr Wirken jedoch umgekehrt werden. Der Tag, an dem die Göttin stirbt, wird der Tag, an welchem alles, das sie errichtet hat, wieder zusammenfallen wird. Sobald ihr Leib den letzten Atemzug tut, wird aus ihrer Brust ein tiefschwarzer Nebel austreten, Genethoth reine Gestalt, welche die Ordnung einreißen und das Chaos wiederkehren lässt. Die Grenzen zwischen Personen, zwischen Völkern, zwischen Klassen und zwischen Leben und Tod werden verwässert und kehren schließlich in das ursprüngliche Chaos zurück.

Es ist aus dieser Prophezeiung heraus, dass die Nebelhäupter aktiv gegen die Kirche des Lichts vorgehen. Sie inszenieren Anschläge auf die Mahia und tüfteln im Verborgenen an gefährlichen Ritualen, um Götter in physischer Gestalt auf ihre Welt zu beschwören, um sie hinzurichten.

Da die Sünderin niedergeht und ihr Blut die Erde benetzt, sehet den Nebel aus ihrem Leib entströmen. Was einst entrissen, kehrt zurück. Das Dunkel der Ungewissheit wird verschlungen in zarter Umarmung und das Licht des Friedens entströmt. Da der Nebel unsere Formen auflöst, da die irdischen Fesseln der aufgezwungenen, sich selbst schuldhaften Existenz vergehen, hauchet aus. Lasst euch fallen. Gebt euch hin und werdet eins. Wie es begann, soll es enden. Formlos und ewig im Nebel.


Cover image: by Csor96 using Midjourney

Kommentare

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Aug 20, 2024 07:57 by Lia Felis

It was an interesting read: informative, easy to follow, and nicely done. Nice work, keep on!

Aspiring fantasy writer and part-time Dungeon Master. Dragon Goddess of Evera.
Aug 28, 2024 07:19

Thanks a lot :D