Auf den Spuren von Syrta Khîm
Bevor Sie diesen Artikel lesen, starten Sie bitte das Video. Es wird Sie musikalisch auf die folgende Reise einstimmen und hoffentlich hab ich meine Berechnungen gut genug gemacht, dass Sie mit dem letzten Ton meines Lieblingsliedes die letzte Silbe lesen.
Die elfjährige Feenelfe stand vor den riesigen antiken Vitrinen des Naturkundemuseums von Kýthý. Sie war zu klein, um alles gut zu sehen. Deshalb straffte sie ihre leicht rosa glitzernden Flügel, schwebte nach oben und bewunderte die vielen Entdeckungen, die dort ausgestellt waren. Mit ihren großen Kulleraugen, versuchte sie, sich alles ganz genau einzuprägen. Es gab riesige Schmetterlinge mit Flügeln in den schillerndsten Farben, Käfer mit kristallenen Panzern, Vögel mit flauschigen Federn, Skelette von ausgestorbenen Drachen und wundersame Geräte zu bestaunen. Später am Abend zählte das Feenkind ihrem Vater all die Dinge auf, die sie in der Ausstellung gesehen hatte. Ihr kleiner Mund hörte gar nicht mehr auf, zu quasseln, so fasziniert war sie von all den verschiedenen Eindrücken gewesen. Erst als sie im Bett lag, ihr Vater sie mit einem Stubs an der Nase berührte und einem: "Oh Syrta, du wirst mal eine große Abenteurerin.", noch einmal in den Arm nahm, schloss sie müde die Augen und gab endlich Ruhe. In dieser Nacht träumte Syrta von einer großartigen Zukunft und den vielen Entdeckungen, die sie später einmal machen würde.
Syrta Khîm war eine aufgeweckte Feenelfe, die am Liebsten mit einer Becherlupe im Garten ihres Elternhauses nach allen möglichen Käfern und Insekten suchte, um sie zu vergrößern und zu studieren. Mit 12 Jahren bekam Syrta ein kleines Notizbuch und "Das Handbuch für außergewöhnliche Abenteurer" geschenkt, die ihre größten Schätze wurden. Nun konnte sie nicht nur in der näheren Umgebung mit ihrem besten Freund Nimb, einem téshànischen Himmelsgleiter, auf Entdeckungen gehen, sondern auch noch alles mit kleinen Skizzen und Beschreibungen festhalten.
In der Schule liebte sie die Fächer, die sich mit der téshànischen Natur beschäftigten und alles oder zumindest vieles um sie herum erklärten. Bereits zeitig stand für Syrta fest, dass sie die Ökosysteme, Landschaften und Spezies ihres Kontinents und vielleicht später auch die der weiteren Welt erkunden wollte. Mit 15 erhielt sie einen Kompass und einen Rucksack und schloss sich den téshànischen Wolkenwanderern, einer Art Pfadfindergruppe an. Dort lernte sie Überlebenstechniken, wie Wasser und Nahrung zu finden, ein Feuer zu entfachen, einen geeigneten Schlafplatz zu suchen, ein Zelt zu errichten und wetterfest zu machen und natürlich, wie man sich am Besten vor Gefahren und Unfällen in der freien Natur schützt.
Nach einem Biologie- und Geographiestudium in Qánsáví machte sie eine Pilgerreise zum Weltenbaum und nahm eine Stelle bei einer kleinen Forschergruppe unter der Führung von Vikriti Cuarán an. Die Gruppe stellte die ersten Thesen zur Katalogisierung von Lebewesen auf, was Syrtas Leben von nun an begleiten sollte. Leider musste die Gruppe 1.609 AEC aus finanziellen Gründen aufgelöst werden, doch Syrta hatte sich bereits einen guten Ruf als ausgezeichnete Biologin erarbeitet, sodass sie vom großen Vermesser und Geographen Keóna Sáyàph gefragt wurde, ihn auf einer seiner Reise entlang des Ufers des Ténátís, zur versunkenen Stadt Lís und auf die Insel Xaí Limtásh zu begleiten. Diesem Angebot folgte sie nur zu gern, da sie so ihrem erhofften Traum wieder ein Stückchen näher kam.
Zwei Jahre reiste sie mit Keónas Gruppe und lernte in dieser Zeit sehr viel über die Bestimmung von Arten und sammelte einige Erfahrungen, wie man auch brenzlige oder gefährliche Situationen übersteht. Nach ihrer Rückkehr wurden die gesammelten Objekte, Tiere und Pflanzen katalogisiert und für die Austellung "Die Wunder des Glitzermeers" 1.613 AEC im Naturhistorischen Museum von Aqila zur Verfügung gestellt.
Dort lernte Syrta die Professorin Okilani Phásòn kennen. Später bezeichnete sie Okilani als ihr älteres Ich, da sie beide den gleichen Traum fest vor Augen hatten. Okilani Phásòn war bereits eine angesehene Professorin für téshànische Paläontologie und nachdem sie kräftig die Werbetrommel zur finanziellen Unterstützung für eine eigene Forschungs- und Grabungsreise gesammelt hatte, verstarb sie unglücklicherweise an einer kurzen schwerden Krankheit. In ihrem Testament verfügte sie, dass Syrta das gesamte Geld für ihre Studienreise erhalten sollte, damit ihr Traum nach ihrem Tod doch noch in Erfüllung gehen würde.
1.615 AEC war es endlich soweit. Syrta hatte ein Team von fünf weiteren erfahrenen Naturforschern und acht Gehilfen zusammengestellt, die sie auf der Reise begleiten sollten. Die erste Reise dauerte zweieinhalb Jahre und umfasste Brictælgis und Layida, die Kontinente der Erde und des Feuers. Die zweite Reise dauerte etwa 20 Monate und führte Syrta und ihr Team auf den Kontinent des Wassers -
Ulűri̋qi̋. Auf der letzten Reise, die drei Jahre dauerte, besuchte Syrta die Menschen von Idaka und ihren Heimatkontinent, das "luftige" Téshàn.
Zwischen ihren Reisen vergingen im Schnitt zwei Jahre, in denen sie neues Geld sammelte, indem sie Vorträge hielt und teilweise Stücke für verschiedene Ausstellungen zur Verfügung stellte oder ganz an Naturkundemuseen übergab. Gleichzeitig begann sie, für ihre entdeckten Arten eine funktionierende Nomenklatur zu entwickeln, der sie später auch schon bereits bekannte Arten hinzufügte.
Während der dritten Reise erkrankte Syrta und ihr Team auf Idaka an Schwefelhidrose, woran zwei Mitglieder starben. Auch danach litt Syrta noch zeitweise unter den Einwirkungen der Krankheit, sodass sie keine längeren strapaziösen Reisen mehr unternehmen konnte. Trotzdem war es Syrta und ihren Forschungsgruppen während der drei Reisen gelungen, insgesamt 126 neue Arten zu entdecken und in zahlreichen Artikeln zu beschreiben.
1.631 AEC veröffentlichte Syrta das Elaqitanische Bestiarium und 1.636 AEC das Elaqitanische Herbarium. Beide Werke zählen noch heute zu den wichtigsten Büchern für elaqitanische Spezies der Flora und Fauna. 1.638 AEC wurde Syrta zur Professorin für elaqitanische Biologie am Naturkundlichen Forschungsinstitut von Aqila ernannt und erhielt unter anderem die Ehrendoktorwürden der Universitäten von Qánsáví und Kímýqán. Die nach ihrem Tod entdeckte "Sanos NAKHIMI osmaemas" wurde als "Wilde Khîmkatze" nach ihr benannt. Auch heute kennt zumindest jeder Téshàni ihren Namen, da viele téshànische Schulen und Straßen Syrta Khîms Andenken mit einem ihr gewidmeten Flügel oder des gesamten Gebäudes würdigen. Viele elaqitanische Naturforscher sehen in Syrta eine großartige Inspiration, auf deren Grabstein in Qánsáví steht: "Man muss nicht groß sein, um Großes zu erreichen.".
Etwa 35 Jahre später befand sich Syrta wieder im Naturkundemuseum ihrer Kindheit. Doch diesmal war sie nicht zu klein, als sie vor einem Rednerpult stand. Ihre sommersprossigen Wangen und lilafarbenen Augen strahlten. Viele Besucher waren extra gekommen, um sie kennen zu lernen. Ihr größter Bewunderer aber war ihr Vater, der in der ersten Reihe saß und aufmerksam jedem ihrer Worte folgte. Nach ihrer kurzen Einführungsrede eröffnete sie die Ausstellung und führte die Gäste zu den verschiedenen Höhepunkten. Überall erzählte sie kleine Anekdoten über ihre Reisen und erklärte den staunenden Besuchern ihre Entdeckungen. Am Abend, kurz bevor die Türen der Bibliothek und der Ausstellung bis zum nächsten Tag geschlossen wurden, setzte sie sich mit ihrem Vater auf eine Bank und beide schauten schweigend auf eine riesige Weltkarte Elaqitans, die alle Routen ihrer drei Weltreisen und die wichtigsten Orte und Entdeckungen miteinander verknüpfte. "Siehst du Syrta", sprach ihr Vater voller Stolz: "Aus dir wurde doch eine große Abenteurerin!" Er legte seine Hand auf ihre Schulter und mit leichten Tränen in den Augen, lächelte er seine Tochter an, die ihren Kopf an seine Schulter lehnte.
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