Devin schreckte aus einem unruhigen Schlaf hoch und war erleichtert festzustellen, dass es nur ein Albtraum gewesen war, der sie heimgesucht hatte. Nur einen Moment später brach die Realität über sie herein und die Erinnerungen kehrten zurück. Ihr Inneres krampfte sich zusammen, doch sie zwang sich dazu sich auf zu setzen. Es waren neun Tage vergangen.
Devin fuhr sich mit den Fingern durch die zerzausten Haare und bemerkte feuchte Wangen. Während des Tages schaffte sie es mittlerweile die Tränen zurück zu halten, doch in der Nacht kamen sie immer noch. Das Morgengrauen fiel durch das kleiner Fenster und erhellte die Kajüte von Kapitän Relistra. Devin verbrachte die Nächte, sie zögerte es Schlafen zu nennen, auf dem Boden unter ein paar Decken, die Elhom gebracht hatte nachdem sie sich geweigert hatte, den Raum zu verlassen. Totenwache.
Ihr Blick schweifte über den mit Karten beladenen Schreibtisch, wo sie versucht hatte sich mit Berechnungen der Navigation ab zu lenken, über die Reste ihres Abendessens und den Schrein für Eigris, bis er schließlich, zögerlich, auf der Gestalt mit dem schwarzen Mantel landete, welche auf dem Bett lag. Sie sah so ruhig aus und Devin fragte sich, ob ihre Seele nicht vielleicht an einem besseren Ort war, ob sie überhaupt zurück kehren wollen würde in diese Welt mit all ihrem Schmerzen und Sorgen. Schnell verbannte sie diesen Gedanken. Cal war tougher und mutiger als sie alle.
Es war nicht das erste Mal, dass solche Gedanken ihr gekommen waren. Jeden Tag fiel es ihr leichter, sie als Produkte des ständig zweifelnden und alles hinterfragenden Teils ihres Gehirns zu erkennen und ab zu tun. Dieser Teil half ihr Rätsel zu entschlüsseln, Zusammenhänge zu erkennen, die sonst niemand zu finden vermochte, doch er richtete sich auch gegen sie selbst. In Minarhall hatte sie gegen die Selbstzweifel angekämpft und gegen das Gefühl ihrer Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Die Trauer um Cal hatte vieles wieder zunichte gemacht. Merylls Stimme spukte stets in ihrem Hinterkopf: "Du könntest es jemanden anderen überlassen. Keiner würde dich dafür verurteilen. Du musst nicht kämpfen." Ein Weg der viel zu verlockend klang im Angesicht des Schmerzes der Trauer.
Der Kapitän hatte sie auch an eine andere Wahrheit erinnert. Sie wollte kämpfen. Sie wollte helfen. Musste helfen. Und sie konnte helfen, verdammt noch mal. Jetzt erst recht. Auch wenn es weh tat.
Und so rappelte Devin sich auf, wusch sich das Gesicht und bändigte ihre Haare so gut sie konnte und öffnete das Fenster. Von draußen strömte salzige Meeresluft und die ersten Sonnenstrahlen in die Kajüte. Mit rauer Stimme und einem winzigen Lächeln flüsterte sie: "Guten Morgen, Cal, bald sind wir da und dann sehen wir uns wieder."