Zu viel.
Fürwahr, zu viel ist heute geschehen, um alles zu dokumentieren. Zu riskant mag es sein, sollten jemals andere Augen als die meinen ihren wissbegierigen, gar schamlos gefräßigen Blick auf dieses Buch hier richten. Wenn ich aber sage, dass sich innerhalb des heutigen Tages mein Angstlevel nicht nur verdoppelt oder verdreifacht hat, sondern sich schon an Exponentialwerten erfreuen kann, dann wage ich es wohl zu untertreiben.
Wie es scheint ist man auf der Suche nach mir - aufgrund der Ameisen. Und ja, wie Ameisen scheinen sie überall zu sein, ihre Fühler ausstreckend und beobachtend, mich dahintragend und in ihren Bau schleppend. Ich kann es mir im nachhinein nicht mehr ausmalen, wie stark der Schmerz war, der mir widerfahren ist, als sie sich mit ihren spitzen Werkzeugen an meiner Haut labten. Und wenn ihre Säure mich auch nur an der Wange und nicht wie geplant im Auge getroffen hat, so bin ich nun auf ewig gebrandmarkt. Wie Vieh, das auf der Schlachtbank auf sein Ende wartet, trage ich ein Mal.
Drei Schlitze.
Drei, und einer davon durchbohrt von einem grausamen Finger.
Ein Schicksal wie Aspens blieb mir allem zu Dank noch erspart als tatsächlich, in allerletzter Sekunde, Joléne und Alfred ihren Mut sowie ihre Fertigkeiten unter Beweis stellten. Ihnen verdanke ich, dass ich noch sehen kann. Ihnen verdanke ich, dass der größte Schaden vermieden werden konnte. Wie sehr ich mir doch wünsche, sie hätten Aspen genau so beistehen können.
Doch diese Rettungsaktion, mit all diesem Tatendrang und dieser Absicht, mich wohlerhalten zurückzubringen, war mir von Anfang an so befremdlich. Während des gesamten Weges zurück zur Taverne konnte ich nicht aufhören zu hinterfragen, weshalb mir mit solch einer Determination geholfen wurde. In der Tat war es mir ein offengelegter Fakt, dass ich für unsere Gruppe im besten Fall eine Nervensäge und im schlimmsten Fall ein Störenfried bin. Ich sah es in den Augen, hörte es im Tonfall, sah es in der Haltung.
Ich bin Jolénes Arbeitgeber und, seit neustem, Zielperson.
Ich bin Aspens Petzer; die Instanz, die ihre Hände bindet.
Ich bin Alfreds Inbegriff eines verwöhnten Adelsburschen der absoluten Bourgeoisie.
Umso mehr ließ es mir das Herz ausbluten - auf karthartischem Wege - als Joléne sich auf das Knie warf und ihre Freundschaft bekundete sowie die der anderen bestätigte. Obwohl ich nun im Nachhinein letzteres ein wenig zu bezweifeln wage, da sie doch ohne Nachfrage für die anderen sprach, zersprang in mir für einen Augenblick sämtliche Selbstzweifel. Eine Schande war es, als mir die Tränen aus dem Gesicht strömten und einfach nicht mehr versiegen wollten. Doch es hat gut getan. Es fühlte sich gut an.
Obwohl die drei bescheid wissen von meinem außerordentlich unschicklichen Zustand, scheint es so, als ob ich ihnen vertrauen kann. Auch Aspens Geheimnis wird einen guten Ruheplatz in mir finden. Nie soll es auch nur im Geringsten zum Vorschein kommen. Das ist das Mindeste, das ich tun kann.
Ich... ich bin wohl nicht alleine trotz der Ameisen, die meinen Fingern innewohnen.
Ich kann mich auf meine Gruppe - ... nein. Meine neuen Freunde. Ich kann mich auf meine neuen Freunde verlassen.
Was für ein wunderbares Gefühl.
Wenn es nur nicht all den Rest drumherum gäbe.