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Sat 2nd Mar 2024 11:54

Ameisen.

by Pío von Soto

Schau dich an.
Ich kann mich nicht konzentrieren.
Leg den Kamm zur Seite.
Atme einmal tief durch.
Und schau dich an.
Schau deine Hände an.
 
Was ist es, das sich inmitten dieser fleischigen Werkzeuge verbirgt?
Sind es Ameisen, die entlang meiner Blutgefäße, Sehnen und Muskelfasern ihre Straße aufbauten, dieser entlangstolzierten und mit ihrer harten Arbeit den Menschen unter ihnen Heilung gewährten? Aber wie? Wie um alles in der Welt hätten diese Ameisen solch Wunderwerke vollbringen können, geschweige denn wie hatten sie es geschafft, sich ihren Weg in mein Inneres zu bahnen? Wie zur absoluten Hölle hat sich diese Schulter von selbst wieder eingerenkt?
 
Schultern renken sich nicht von selbst ein. Es müssen die Ameisen gewesen sein.
Sie kletterten aus meinen Fingern. Ameisen sind stark. Und so konnten sie den Knochen wieder einkugeln. Mit geballter Kraft hoben sie ihn hoch, den ganzen Arm, und verstauten ihn wieder behutsam im Schultergelenk. Alles ein Werk der Ameisen.
Ameisen...
Ja. Ameisen.
Dass ich nicht lache.
 
Langsam, aber nur sehr langsam, dünkt mir eine unschöne Vermutung, die sich wie ein Parasit in der letzten, dunkelsten Falte meines Gehirns eingeschleust hat und nun dort im Verborgenen verweilt. Er piesackt mich, provoziert mich gar wenn der Lärm in meiner Umgebung nicht laut genug ist, um die höhnischen Rufe dieses Parasiten zu überdröhnen.
 
Doch jetzt bin ich allein.
Und es ist still.
Die Stille ist so laut, so präsent. Aber der Parasit ist lauter.
Ja, der Parasit ist laut. Lauter als diese verdammt laute Stille.
 
Er ruft nach mir, er krächzt, brüllt und lacht. Ein verzerrtes Lachen ist es, verzogen und schrill wie der markerschütternde Schrei eines scheuenden Pferdes.
 
"Warum?" fragt er. "Warum hat sich die Schulter wieder eingerenkt?"
"Warum?" fragt er weiter. "Warum konnte der Wächter trotz aktiver Blutung sich so regen?"
"Und warum?" fragt er noch immer. "Warum ist alles, das Fedele bliebt, eine große Narbe in seinem Abdomen? Eine Narbe, eine lächerliche Narbe, obwohl etwas weitaus größeres für diesen Ort vorhergesehen war?"
"Warum?"
"Warum?"
"Warum?"
Und ich möchte schreien. Schreien. Schreien.
Ich kann diese Fragen nicht beantworten. Zumindest nicht mit einer Antwort, die mich glücklich macht. Denn alles, was mir als Erklärung übrig bleibt, sind die Ameisen, oder der Zustand einer gewissen Dame aus unserer vorherigen Raststätte.
 
Ich wünschte, es wären die Ameisen gewesen.