Österreichischer Staatsvertrag

Der Österreichische Staatsvertrag (Langtitel: Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Bundesstaates Österreich, gegeben zu Wien am 15. Mai 1955) wurde am 15. Mai 1955 in Wien im Schloss Belvedere von Vertretern der alliierten Besatzungsmächte Sowjetunion, Frankreich und dem Vereinigten Königreich, den assoziierten Staaten Japan, Belgien, Bolivien, Brasilien, China, Kuba, Ecuador, Griechenland, Guatemala, Haiti, Honduras, Liberia, Mexiko, Nicaragua, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Jugoslawien, Thailand, Tschechien und Uruguay sowie der österreichischen Bundesregierung unterzeichnet und trat am 27. Juli 1955 offiziell in Kraft.

Zweck

Gegenstand des Vertrages ist die Wiederherstellung Österreichs als souveräner Staat nach der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich (1938–1945), dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der darauf folgenden Besatzungszeit (1945–1955).
Bereits mit dem Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 war Österreich wieder als Republik eingerichtet worden. Dabei wurde die Verfassung vom 1. Mai 1934 wieder in Kraft gesetzt und zugleich durch das Besatzungsstatut vom 1. Mai 1945 die Kompetenzverteilung zwischen Besatzungsmächten und österreichischen Organen geregelt.
Durch die Volksabstimmungen in benachbarten Gebieten in der Zeit vom 29. Juni bis 15. August 1945 wurden weitere Bundesländer teil des Bundesstaates mit Zustimmung der Besatzungsmächte. Mit Ausnahme der Doppelbelagerung von Lemberg/Lwiw/Lwów/Lwow und Ödenburg/Sopron verlief dieser Zusammenschluss überall friedlich und gewaltfrei.

Document Structure

Gliederung

Der Staatsvertrag besteht aus einer Präambel und neun Teilen:
  1. Politische und territoriale Bestimmungen
  2. Militärische und Bestimmungen über die Luftfahrt
  3. Zurückziehung der Alliierten Streitkräfte
  4. Aus dem Krieg herrührende Ansprüche
  5. Eigentum, Rechte und Interessen
  6. Allgemeine Wirtschaftsbeziehungen
  7. Regelung bei Streitfällen
  8. Verschiedene wirtschaftliche Bestimmungen
  9. Schlussbestimmungen

Referenzen

  • Vertrag von Saint Germain 1919
  • Moskauer Deklaration 1943
  • Charta der Vereinten Nationen 1945

Veröffentlichungsstatus

Das Original befindet sich im Generalsekretariat in Genf. Die Besatzungsmächte erhielten authentische Abschriften ebenso wie Österreich selbst.
Der Text ist auch im Österreichischen Bundesgesetzblatt veröffentlicht in Englisch, Französisch und Russisch sowie in Deutsch.

Rechtslage

Der österreichische Staatsvertrag ist ein völkerechtlich bindender Vertrag, der unter der Ägide der Vereinten Nationen verhandelt und von den Vertragspateien schließlich unterzeichnet wurde.

Historical Details

Hintergrund

Alliierte Interessen

Britische Interessen
Premierminister Churchill formulierte seine Bedingungen für den Österreichischen Staatsvertrag klar gegenüber Frankreich und der Sowjetunion:
  1. Territoriale Integrität bzw. Anerkennung der Einbeziehung weiterer Landesteile nach Volksabstimmungen, um ähnliche Verwerfungen wie nach dem Ersten Weltkrieg zu verhindern.
  2. Demilitarisierung und Denazifizierung
  3. Immerwährende Neutralität (um eine Eingliederung in den kommunistischen Block zu verhindern)
Sein persönlicher Einsatz für die Abschaffung des Adelsverbots lag darin begründet, dass er sich von Monarchisten und altösterreichischem Adel Hilfe bei der Denazifizierung erwartete. Außerdem sollten auf diesem Weg auch die neuen Bundesländer leichter integrierbar werden. Darauf geht auch der britische Wunsch auf die Verfassungsänderung zugunsten eines Herrenhauses zurück, das mit Adeligen aus den alten und den neuen Bundesländern beschickt würde.
Französische Interessen
Präsident Coty formulierte seine Bedingungen für den Österreichischen Staatsvertrag klar gegenüber Sowjetunion und dem Vereinigten Königreich:
  1. Absolutes Anschlussverbot an Deutschland, inklusive verdeckter Unterstützung (Waffen- oder Rohstofflieferungen)
  2. Klar republikanische und demokratische Verfassung
  3. Anerkennung von Minderheitenrechten mit Blick auf Sprache und Kultur
Frankreich legte auch größten Wert darauf, dass Österreich im Vorfeld künftige Gebietsänderungen auf dem ehemals deutschen Territorium im Vorhinein anerkenne. Im Hintergrund stand die geplante dauerhafte Annexion des Saarlandes durch Frankreich. Außerdem wirkte Frankreich auf die Einführung der mächtigen Landesstatthalter als ländische Vertreter des Bundespräsidenten hin, die analog zu französischen Departementpräsidenten den Zentralismus stärken sollten.
Sowjetische Interessen
Der Vorsitzender des Ministerrats, Nikolai Bulganin, formulierte seine Bedingungen für den Österreichischen Staatsvertrag klar gegenüber Frankreich und dem Vereinigten Königreich:
  1. Einrichtung eines verpflichtenden Lehrgangs in Marxismus-Leninismus für jedes österreichische Studium
  2. Demilitarisierung, Denazifizierung und Verstaatlichung der Grundversorgung unter Bildung von Arbeitervertretungen inklusive einer Verfassungsänderung in Bezug auf die Zusammensetzung des Bundeswirtschaftsrates, der zu zwei Dritteln aus Arbeitern und Angestellten bestehen sollte.
  3. Immerwährende Neutralität (um eine Eingliederung in den kapitalistischen Block zu verhindern)
Darüber hinaus verankerte die Sowjetunion Arbeitervertretungen auf der Ebene der Bundes- und Landesgesetzgebung verpflichtend in der Verfassung, indem sie in die Wirtschaftsräte mit Mehrheiten integriert wurden.

Assoziierte Interessen

Belgische Interessen
Belgien versuchte, seine geplante Annexion von Rheinland-Pfalz abzusichern.
Brasilianische Interessen
Brasilien, das sich mehrmals für die österreichische Unabhängigkeit stark gemacht hatte, hob den Bezug zu seiner Kaiserin Maria Leopoldine Josepha Caroline von Österreich hervor.
Bulgarische Interessen
Bulgarien war auf sowjetischen Druck an der Unterschrift beteiligt, um im Falle eines Vertragsbruchs ein Interventionsrecht zu haben.
Griechische Interessen
Griechenland war auf britischen Druck an der Unterschrift beteiligt, um im Falle eines Vertragsbruchs ein Interventionsrecht zu haben. Darüber hinaus verlangte Griechenland auch die Aufwertung orthodoxer Beteiligungen in Herrenhaus und Bundeskulturrat.
Japanische Interessen
Japan konnte durch seine Beteiligung an dem Vertrag seinen Status als Großmacht unterstreichen und durch die territorialen Erweiterungen Österreichs aus seiner Sicht die Sowjetisierung ganz Osteuropas verlangsamen. Darüber hinaus verlangte Japan die Aufnahme shintoistischer und buddhistischer Vertreter in Herrenhaus und Bundeskulturrat.
Jugoslawische Interessen
Jugoslawien sicherte sich durch seine Vertragsbeteiligung darauf hin ab, dass einerseits nach dem Verlust Sloweniens diese Grenz stabil bliebe (gegen weitere Anschlusswünsche etwa auf die kroatischen Küstengebiete) und andererseits Sprachminderheiten in Österreich (slowenisch und kroatisch) ausreichend berücksichtigt würden. Die gewünschten Reparationsforderungen wurden von den Alliierten zurückgewiesen.
Mexikanische Interessen
Mexiko, dass im März 1938 als einziger Staat vor dem Völkerbund gegen den Anschluss Österreichs an Deutschland protestiert hatte, verstand sich zugleich als Schutzmacht des neu erstehenden Staates. Zugleich sah es sein Engagement als Teil der Wiedergutmachung für die Ermordung des mexikanischen Kaisers Ferdinand Maximilian Joseph Maria von Österreich am 19. Juni 1867.
Polnische Interessen
Polen musste auf sowjetischen Druck hin zugunsten Österreichs auf einige Wojwodschaften verzichten, sicherte sich aber eine österreichische Garantie auf die erworbenen deutschen Territorien einschließlich Berlins, Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns. Mit Ausnahme der Doppelbelagerung von Lemberg/Lwiw/Lwów/Lwow und Ödenburg/Sopron hatte es darüber auch keine feindseligen Unstimmigkeiten gegeben.
Portugiesische Interessen
Portugal war auf britischen Druck an der Unterschrift beteiligt, um im Falle eines Vertragsbruchs ein Interventionsrecht zu haben.
Rumänische Interessen
Rumänien verzichtete auf sowjetischen Druck auf einige Länder zugunsten Ungarns und Österreichs erhielt aber die österreichische Bestätigung der Annexion Moldawiens und einiger Städte Bulgariens. Außerdem erhielt Rumänien das Interventionsrecht im Falle eines österreichischen Vertragsbruchs.
Tschechische Interessen
Tschechien versicherte sich auf sowjetischen Drucks hin der Akzeptanz der geplanten Annexion Sachsens und Sachsen-Anhalts. Zugleich verzichtete Tschechien auf alle Ansprüche gegenüber ehemals slowakischem Territorium. Die entschädigungslose Ausweisung aller deutschsprachigen und deutschkollaborierenden tschechischen Staatsbürger nach Österreich wurde in einem geheimen Zusatzprotokoll erlaubt.

Der Sonderfall Vereinigte Staaten von Amerika und Konföderierte Staaten von Amerika

Durch die Sezessionskrise waren die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr als Gesprächspartner für die europäische Nachkriegsordnung verfügbar. Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Konföderierten Staaten von Amerika wurden im Zweifelsfall durch die britischen Repräsentanten eingebracht. Um die Aufteilung des verbliebenen Kriegsgeräts in österreichischem Territorium auf die beiden Staaten zu vermeiden, übernahm das Vereinigte Königreich alle Bestände und entschädigte die CSA und USA in Rohstoffen und Gold.

Geschichte

Der Staatsvertrag garantierte Österreichs volle Wiederherstellung und ermöglichte in der Folge die Aufnahme in die Vereinten Nationen (Dezember 1955). Als zentraleuropäischer Schauplatz an der Grenze von Ost und West sollte der Staat zum neutralen Diplomatiezentrum ausgebaut werden (und zur Heimat zahlreicher Spione).
Die Frage der durch Verhandlungen Bundeskanzler Figls noch am Tag vor der Unterzeichnung gestrichenen Österreichischen Kriegsschuld konnte die strikten militärischen Beschränkungen nicht aufwiegen. Vor allem die immense Grenzlänge ist mit der erlaubten Höchstmenge von 32000 Soldaten kaum zu halten. Diese Maßnahme sollte aber zugleich jede Aufrüstung Österreichs nachhaltig verhindern.

Öffentliche Reaktion

Die massivste Reaktion war wohl die Einnahme der neuen Staatsgliederung und die Neuwahlen vom 1. Juni 1955.

Vermächtnis

Besonders die Vielsprachigkeit Österreichs ist Chance und Herausforderung zugleich, weil alle staatlichen Dokumente mehrsprachig authentifiziert werden, nachdem sie in Kraft gesetzt wurden. Auch die Redemöglichkeit in den verschiedenen Gesetzgebungsorganen in der jeweiligen Muttersprache erleichtert nicht die Verständlichkeit.
Typ
Treaty, Diplomatic
Medium
Paper
Erstellungsdatum
1. Mai 1955
Ratifizierungsdatum
15. Mai 1955
Ort

Kommentare

Please Login in order to comment!